Freitag, 22.09.2023
09:30 - 11:00
Raum Q113
E05
Soziale Teilhabe, Solidarität
Moderation: K. Rackow, Vechta
Das Solidarprinzip gilt als ein Grundpfeiler für die Stabilität des deutschen Sozialstaates und ist selbst wesentlich davon abhängig, dass eine breite Anerkennung des Grundsatzes einer Absicherung im Alter und bei gesundheitlichen Einschränkungen unabhängig von individuellem Verhalten vorhanden ist. Die Erwartung, dass wahrscheinlicher werdende stärkere Belastungen im höheren Lebensalter von den nachfolgenden jüngeren Generationen getragen und vor allem finanziert werden, ist als Generationenvertrag bekannt. Im Zusammenhang mit den Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Altersstruktur, dem zu erwartenden Anstieg an Hilfe- und Pflegebedürftigen sowie einem gleichzeitigen Mangel an finanzieller Deckung und entsprechenden Fachkräften ist jedoch häufiger von einem Bruch dieses Vertrags die Rede. Besonders deutlich tritt diese Thematik in der Diskussion um die Finanzierung der Pflege- und Krankenversicherung in Erscheinung. Unterstellt wird dabei eine scheinbar abnehmende Akzeptanz des Solidarprinzips, insbesondere bei jüngeren Menschen. Der Beitrag greift diese Behauptung auf und prüft mit Hilfe der Daten des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP), wo die Verantwortung für diese Aufgaben konkret verortet wird und inwieweit die Annahme einer gewollten Verschiebung in den privaten Bereich überhaupt zutreffend ist. Lassen sich diesbezüglich Unterschiede zwischen Jungen und Alten beobachten, oder sind vielmehr andere Faktoren, wie Sozio-ökonomischer Status, Familienverhältnisse oder soziale Netzwerke ausschlaggebend? Darüber hinaus wird untersucht, ob sich die Einstellung zur Verteilung der Verantwortung in den vergangenen zwanzig Jahren verändert hat.
Active aging campaigns encourage (primarily) older adults to lead an active lifestyle and make productive contributions, gradually turning corresponding social expectations in the same direction. Are these expectations effective? Recent evidence suggests that perceived expectations for active aging (PEAA) have limited implications for young–old Germans’ formal productive roles. However, whether individuals follow PEAA might depend on their resources, motivation, and age stereotypes. In Study 1, we investigated the effects of PEAA in the social engagement domain on productive activities over one year and examined the moderating role of resources and motivation combined (pre-registered at https://osf.io/b3k4c). We employed longitudinal data from the Jena Study on Social Change and Human Development that surveyed young–old German adults (age 56–75). Linear and logistic regression analyses revealed that PEAA in the social engagement domain predicted high (vs. no) frequency of caregiving one year later. When individual motivation was excluded from the models, PEAA predicted all productive activities (volunteering, caregiving, and childcare) one year later, whereas resources moderated the effects on caregiving and childcare. In Study 2, we will investigate whether domain-specific age stereotypes as well as resources and motivation combined moderate the relationship between domain-specific PEAA (physical health, mental health, and social engagement) and corresponding leisure and productive activities (physical activity, partaking in cultural/artistic activities, informal helping, and volunteering) in German adults aged 16–94 (pre-registered at https://osf.io/wpzk8). To this end, we will employ longitudinal data from the nationally representative Innovation Sample of the German Socio-Economic Panel (SOEP-IS).
Hintergrund: In Deutschland ist eine deutliche Entwicklung in Richtung einer Alterung der Bevölkerung zu beobachten, wodurch es zu einer wichtigen gesellschaftlichen Herausforderung wird, die Bedürfnisse älterer Erwachsener zu berücksichtigen. Studien weisen auf das mögliche Potenzial hin, das ältere Menschen durch die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie dem Internet als Schlüsselmedium erfahren könnten, z.B. im Hinblick auf die Reduktion von Einsamkeit oder zur Stärkung der sozialen Teilhabe. Jedoch berücksichtigen viele Untersuchungen lediglich die allgemeine Internetnutzung, nicht aber den Zusammenhang spezifischer Nutzungsaktivitäten wie zum Beispiel die Internetnutzung für soziale Zwecke oder zur Unterhaltung.
Forschungsfrage: Daher möchte diese Arbeit auf Basis von Querschnittsdaten untersuchen, wie die Internetnutzung für spezifische Zwecke (Soziale, Informationssuche, Unterhaltungen, Lernen und Gesundheit) mit Einsamkeit und sozialer Teilhabe korreliert ist. Ergänzend wird diese Arbeit auch untersuchen, ob technologiebezogene biographische Erfahrungen (basierend auf dem Konzept der Technikgenerationen (Sackmann und Weymann 1994)), das Geschlecht, Technikakzeptanz (TAM3, Venkatesh und Bala 2008) und Internetkenntnisse (Internet Self-Efficacy, Eastin und LaRose 2000) diese Beziehung moderieren.
Methode: Die Analyse basiert auf einer Studie des Netzwerks AlternsfoRschung (NAR) an der Universität Heidelberg, die im Sommer 2022 durchgeführt wurde und 453 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Alter von 50 bis 95 Jahren (Altersdurchschnitt = 69,3; männlich = 47,7%) einschließt.
Ergebnisse: Erste bivariate Analysen zeigen, dass ältere Menschen das Internet am häufigsten zur Informationssuche verwenden (89% mindestens mehrfach in der Woche). Des Weiteren weisen Angehörige jüngerer Technikgenerationen, Männer und Personen mit höheren selbsteingeschätzten Internetkenntnissen eine höhere Nutzung des Internets für alle untersuchten Aktivitäten auf.
Diskussion: Die Ergebnisse werden im Licht sowohl der Forschung zur Internetnutzung als auch zur digitalen Ungleichheit (digitale Kluft der zweiten Ebene) diskutiert. Diese Erkenntnisse tragen dazu bei, effektive Lernprogramme zu entwickeln, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen von älteren Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlichen digitalen Fähigkeiten abgestimmt sind.
Partizipative Forschung in der Gerontologie hat zum Ziel, ältere Menschen zu ermächtigen, in einem Forschungskollektiv gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu verstehen und neu zu gestalten. Im Prozess des Co-Designs arbeiten Bürger*innen und universitär Forschende zusammen, um neues Wissen zu generieren und Veränderungen anzustoßen.
Im Projekt “Allein aber Vernetzt?” trafen sich über 18 Monate zwei Gruppen von Ko-Forschenden (jeweils 6-8 Personen im Alter von 70 bis 80 Jahren im urbanen und ländlichen Raum) im Zwei-Wochen-Rhythmus. Während dieser Zusammenarbeit wurden projektrelevante Entscheidungen gemeinsam getroffen, die Methoden zur Interviewerhebung trainiert, sowie Interviewerfahrungen reflektiert. Die von den Ko-Forschenden erhobenen Daten wurden anschließend von universitär Forschenden kodiert, um wieder gemeinsam interpretiert und diskutiert zu werden. Der Vortrag reflektiert die gemeinsame Auswertung der erhobenen Interviewdaten vor dem Hintergrund unterschiedlichen Wissens um qualitative Interpretation in partizipativen Projekten.
Die Ko-Forschenden brachten in der Auseinandersetzung mit dem kodierten Interviewmaterial stets eigene biographische Erfahrungen zu den entsprechenden Themenbereichen ein. Dabei wurden die erhobenen Daten anhand eigener Erfahrungen einerseits bestätigt, anderseits aber auch außenvorgelassen. Zugleich gab es Stimmen in den Gruppen, die “zurück zum Material” wollten, das heißt, für eine stärkere Verknüpfung zwischen Erfahrungen und Datenmaterial plädierten.
Die in einem Nicht-Wissen begründete Infragestellung qualitativer Forschungskriterien von Seiten der Ko-Forschenden erzeugte Ambivalenzen im Umgang mit dem Datenmaterial für die Beteiligten. Die Moderationsrolle der universitär Forschenden verlangte für diese Arbeit eine (vorübergehende) Abwendung von üblichen Gütekriterien qualitativer Sozialforschung (z.B. Offenheit, Reflexivität, Anerkennung von Differenz), um die Prinzipien partizipativer Forschung (z.B. gleichberechtigte Beteiligung aller) aufrechtzuerhalten.