Freitag, 22.09.2023
14:15 - 15:30
Hörsaal Q016
S30
Potenziale der Digitalisierung zur Förderung alter(n)sgerechter Sozialräume nutzen – Eine multiperspektivische Betrachtung
Moderation: F. Fischer, Kempten; J. Zacher, Kempten
Die Gestaltung sowie Weiterentwicklung alter(n)sgerechter Sozialräume ist eine der zentralen Aufgaben sowohl der Gegenwart als auch der Zukunft. Sozialraumorientierte Ansätze stehen bereits seit Längerem im Fokus gesellschaftlicher und politischer Diskurse, um die Teilhabe älterer Menschen zu fördern. Darüber hinaus kann auch die Digitalisierung mit Blick auf die heterogenen Bedarfs- und Bedürfnislagen einer alternden Bevölkerung Unterstützungspotenziale mit sich bringen. Digitale Plattformen ermöglichen dabei eine Verbesserung des Informations- und Kommunikationsflusses, welcher sich schlussendlich in einer verbesserten Koordination und Kooperation innerhalb des Unterstützungs- und Versorgungsgeschehens auswirkt. Dafür bedarf es jedoch einer Verankerung und Integration entsprechender digitaler Lösungen in bestehende Strukturen und Prozesse vor Ort, um diese nicht nur zu ergänzen, sondern gewinnbringend miteinander zu verbinden.
In diesem Zusammenhang sind die vielfältigen Akteure der medizinischen und pflegerischen Versorgung, des informellen und ehrenamtlichen Engagements sowie darüber hinausgehender Unterstützungsangebote zu berücksichtigen. Daher stehen in diesem Symposium die jeweils individuellen Perspektiven professioneller Akteure innerhalb des Sozialraums im Vordergrund, welche entweder steuernd oder aktiv nutzend an dem Einsatz und der Verbreitung digitaler Lösungen beteiligt sind. In vier Beiträgen wird sowohl auf konzeptioneller als auch empirischer Basis dargestellt, welche Herausforderungen und Spannungsfelder in der digital-unterstützten (pflegerischen) Versorgung älterer Menschen im Sozialraum bestehen und welche Gelingensbedingungen abgeleitet werden können. Hierzu werden die folgenden, sich wechselseitig bedingenden, Ebenen betrachtet:
- Auf der Makroebene wird die Rolle politischer Akteure vor Ort bei der Planung und konkreten Umsetzung von Strategien zur Digitalisierung im Kontext von Alter(n) und Pflege aufgezeigt.
- Auf der Mesoebene steht zum einen die Einbindung ehrenamtlich Helfender und zum anderen die digital-unterstützte interprofessionelle Zusammenarbeit beteiligter Akteure aus der Versorgung am Beispiel der Hausärzt:innen und ambulanten Pflegedienste im Vordergrund.
- Auf der Mikroebene werden die Anforderungen in Bezug auf die Digitalkompetenz professionell Pflegender vorgestellt.
Am Ende des Symposiums erfolgt eine Zusammenführung dieser jeweiligen Betrachtungsebenen mittels einer vortragsübergreifenden Diskussion.
Hintergrund: In Kommunen werden die Auswirkungen des demografischen Wandels, des (Pflege-)Fachkräftemangels sowie des rückgängigen familiären Unterstützungspotenzials in den pflegerischen Versorgungsstrukturen zunehmend deutlicher bemerkbar. Zur Sicherstellung der senioren- und pflegebezogenen Bedarfe sind Kommunen somit gefordert ihre Versorgungs-Konzepte anzupassen. Das Hinwirken auf eine belastbare Sorgestruktur und die Nutzung digitaler Technologien gewinnen an Aufmerksamkeit. Es wird aufgezeigt, welche Herausforderungen, aber auch Gelingensfaktoren sich bei der Integration der Digitalisierung auf verschiedenen Ebenen der Planung, Steuerung und Ausgestaltung der kommunalen Versorgungslandschaft für kommunale Akteure stellen.
Methode: Die Studie ist in einem qualitativen Design (Dokumentenanalyse, Expert:inneninterviews, teilnehmende Beobachtung) angelegt. Perspektiven verschiedener kommunaler Akteure wurden im Schneeballverfahren einbezogen (koordinierende, planende, entscheidende Funktionsträger:innen). Die Auswertungen erfolgen nach inhaltsanalytischem Verfahren sowie in Anlehnung an die Situationsanalyse.
Ergebnisse: Der Digitalisierungsstand deutscher Kommunen in Handlungsfeldern von Altern und Pflege stellt sich unübersichtlich und heterogen dar. Strategien und Initiativen zur digitalen Transformation in Kommunen vollziehen sich oftmals noch relativ isoliert in Feldern mit wenig oder noch unerkanntem Bezug zum Thema Alter(n), Gesundheit und Pflege, bspw. im Bereich Verwaltung (E-Government), Wirtschaft, Klima (Smart-City) oder Tourismus. Implementierungen der Digitalisierung entstehen sowohl top down (bspw. Strategien der Verwaltungsspitze) als auch bottom up (bspw. Initiativen von Bürger:innen). Beiderseits braucht es initial „treibende Kräfte“, die sich für den Bereich der Digitalisierung engagieren und deren Potenziale mit bedarfsorientierten Impulsen in die lokale Versorgungslandschaft tragen.
Ausblick: Da es das Engagement einer Vielzahl kommunaler Akteursgruppen braucht, um die Digitalisierung in lokalen Sorgestrukturen zu implementieren, und damit digitale Potenziale in Kommunen nutzbar zu machen, werden die einflussnehmenden Faktoren aus unterschiedlichen Perspektiven in iterativ erfolgenden Erhebungen kontextbezogen angereichert. Letztlich soll so ein Überblick für Good-Practice-Ansätze in kommunalen Handlungsfeldern erlangt werden, um diese für weitere transformative Forschungskooperationen zu nutzen.
Digitalen Vermittlungsplattformen, die Engagement bereite Personen an Haushalte mit Pflegeaufgaben vermitteln, wird angesichts des Pflegenotstandes und den bekannten Belastungen pflegender Angehöriger positives Potenzial zugesprochen (vgl. beispielsweise Hegedüs et al. 2020; Nonnenmacher et al. 2020). In Kontrast dazu, ist jedoch über den tatsächlichen Nutzen, den diese digitalen Plattformen stiften können, empirisch wenig bekannt.
Der Beitrag diskutiert vor diesem Hintergrund Ergebnisse der qualitativen Interviewstudie NuVe – Nutzen von Vermittlungsplattformen für informell Helfende in der häuslichen Pflege. Vor einer Erfassung spezifischer Nutzenzuschreibungen von ehrenamtlichen Helfenden und Hilfe suchenden Personengruppen wurde in der ersten Phase dieser qualitativen Studie erkundet, welchen Mehrwert ausgewählte Anbieter von Vermittlungsangeboten mit und ohne Unterstützung durch algorithmusgestützte Matching-Software diesen Angeboten zuschreiben. Hierzu wurden leitfadengestützte Interviews mit Anbietern und flankierende Expertengespräche mit lokalen Multiplikatoren geführt. Diese Interviews wurden mittels inhaltlich strukturierender Inhaltsanalyse ausgewertet.
In theoriebildender Absicht illustriert dieser Beitrag mittels kontrastierender Fallvergleiche verschiedenen Dimensionen des Nutzens digitaler Vermittlungsplattformen für die Vermittlungsanbieter und für die (Weiter-) Entwicklung des Sozialraums, welche zu einer empirisch gestützten Heuristik konzeptionell verdichtet werden. Besonderer Fokus liegt dabei auf den Herausforderungen der erfolgreichen Einbettung digitaler Vermittlungsangebote in den lokalen Sozialraum.
Fragestellung: Die Alterung der Bevölkerung führt zu komplexer werdenden Versorgungssituationen und einem Anstieg an Unterstützungs- und Pflegebedarfen im häuslichen Umfeld. Zeitgleich erleben wir einen Strukturwandel in der pflegerischen sowie hausärztlichen Versorgung, da in den nächsten Jahren viele Hausärzt:innen in den Ruhestand gehen werden. Dies stellt die Gesellschaft im Hinblick auf die Sicherung von pflegerischer sowie ärztlicher Versorgung und deren Strukturen vor Herausforderungen. Um eine kontinuierliche Versorgung zu gewährleisten, ist eine zuverlässige Kommunikation zwischen verschiedenen Professionen unabdingbar. Dabei rückt die Telematikinfrastruktur verstärkt in den Fokus. Telematikfähige Lösungen wie KIM oder die elektronische Patientenakte stellen digitale Plattformen dar, welche die Kommunikation vereinfachen können. In diesem Beitrag werden die Erwartungen und Erfahrungen in Form von (antizipierten) Potenzialen und Umsetzungshemmnissen hinsichtlich digitaler Kommunikationswege zwischen ambulanten Pflegediensten und Hausärzt:innenpraxen dargestellt.
Methodik: Auf Basis eines Scoping Reviews wurden Dimensionen zur Operationalisierung digitaler interprofessioneller Kommunikation extrahiert. Die identifizierten Dimensionen dienten als Grundlage für qualitative Interviews, die sowohl mit Vertreter:innen aus Hausärzt:innenpraxen als auch ambulanten Pflegediensten in einer kreisfreien Stadt in Süddeutschland im Frühjahr/Sommer 2023 geführt werden.
Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen auf, dass die Telematikinfrastruktur bislang wenig genutzt wird. Während bei Akteur:innen aus der Pflege vielfach noch Unkenntnis über die Telematikinfrastruktur besteht, vertrauen die Hausärzt:innen zumeist auf etablierte Strukturen und Prozesse (u.a. Fax). Viele Befragte versprechen sich bei flächendeckender Einführung der Telematikinfrastruktur eine verbesserte Kommunikation zwischen Ärzt:innen und ambulanter Pflege. Zugleich wird aber deutlich, dass der Bedarf an digital-unterstützten Prozessen zur Förderung des Austauschs von den professionellen Akteur:innen eines Sozialraums unterschiedlich wahrgenommen wird.
Zusammenfassung: Die Ergebnisse sollen der Implementierung digitaler Instrumente zur Unterstützung der interprofessionellen Kommunikation dienen und dabei mit der Fokussierung auf die häusliche Versorgung nicht nur eine Forschungslücke schließen, sondern auch weitere Impulse für die Ausgestaltung und Nutzung der Telematikinfrastruktur bieten.
Hintergrund: Digitale Plattformen ermöglichen es, Schnittstellen im pflegerischen Versorgungsprozess älterer Menschen zu schaffen. Das Projekt „DIALOG – Digitale Informations- und Vermittlungsplattform“ beforscht die Nutzung von Plattformen durch professionelle Akteure eines Sozialraums unter besonderer Berücksichtigung der Digitalkompetenz. Als entscheidende Einflussfaktoren auf Implementation und nachhaltige Nutzung werden hierbei Haltung und Handeln von Leitungskräften angesehen.
Fragestellung: Es stellt sich die Frage, wie sich diese Leitungskräfte auf Veränderungsprozesse im Zuge der Digitalisierung vorbereitet sehen. Damit hängt die Frage zusammen, wie Führungskräfte innerhalb der pflegerischen Versorgungslandschaft notwendige Digitalkompetenzen erhalten und wie sie diese an ihre Mitarbeitenden vermitteln?
Methodik: Das Forschungsinteresse des Projekts verbindet Betrachtungen von Kompetenzentwicklung mit der Digitalkompetenz in der professionellen Pflege. Nach einer erkundenden Vorerhebung, erfolgte eine qualitative Befragung relevanter Akteure einer Stadt in Bayern. Die Teilnehmenden bilden einen Querschnitt ambulanter Felder der professionellen Pflege ab. Die Auswertung erfolgte über eine qualitative Inhaltsanalyse.
Ergebnisse: Es wird dargestellt, wie Führungskräfte der Praxis digitale Kompetenzen erwerben. Von Interesse ist, wie Führungskräfte Kommunikation und Strukturierung im Kontext der digitalen Transformation erlernen, wie sicher sie digitale Tools anwenden und wie stark die Vernetzung zu Bildungsreinrichtungen in diesem Zusammenhang ausgeprägt ist. Darüber hinaus werden Erkenntnisse zur Kommunikation der Leitungskräfte in der Praxis dargestellt. Ausgeführt wird, inwieweit die Vermittlung an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden ausgerichtet ist und welchen Hintergrund die Einbindung von Mitarbeitenden zu bestimmten Zeitpunkten der Einführung von digitalen Plattformen hat. Auch die Beurteilung digitaler Plattformen als Innovation ist relevant.
Zusammenfassung: Die Erkenntnisse sollen die Schulungsentwicklung für Digitalkompetenz von Health Care Professionals unterstützen, in dem diese um wichtige Erfahrungswerte der Praxis ergänzt werden. Darüber hinaus sollen Führungskräfte in Einsatzfeldern der Pflegepraxis für die hohen Anforderungen an sie im Rahmen der Digitalisierung sensibilisiert werden.