Donnerstag, 21.09.2023
10:30 - 12:00
Raum Q113
E02
Pflegerische Versorgung
Moderation: A. S. Richter, Berlin
(Dis)Kontinuitäten im biografischen Alterungsprozess sind von Erlebnissen, Verhalten, Erfahrungen, Erwartungen und Bedürfnissen sowie dem Umgang mit Veränderungen beeinflusst. Im Forschungsprojekt „Innovative Betreuung, Versorgung und Pflege in Wohn- und Pflegeeinrichtungen durch Roboter - Ein Bürgerwissenschaftlicher Ansatz“ stand im Fokus, wie der Einsatz des Roboter CRUZR der Firma Ubtech in einer Pflegeeinrichtung in Veränderungsprozessen im Alter wirken kann. Einerseits wurde der Frage nachgegangen, ob CRUZR bei Aufgaben, die derzeit von Mitarbeitenden durchgeführt werden unterstützen kann. Andererseits wurden Präferenzen von Bewohnenden und Angehörigen im Einsatz eines humanoiden Roboters untersucht.
Es wurde ein bürgerwissenschaftlicher Ansatz gewählt, der verschiedene Perspektiven implizierte. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der Fakultäten Gesundheitswesen und Informatik mit einer Pilot-Pflegeeinrichtung (167 Betten, keine Spezialisierung), die sowohl Mitarbeitende als auch Bewohnende und Angehörige einband erfolgte. Der Co-Creation- Ansatz nach Vorbach et al. (2018) sah ein Vorgehen in vier Phasen vor. Um in Phase 1 eine Sensibilisierung für die Komplexität und ein Verständnis für verschiedene Perspektiven des Forschungsvorhabens vorzunehmen wurde ein Posterwalk durchgeführt. Dieser umfasste existierenden Einsatzfeldern von humanoiden Robotern in der Pflege. Darauf aufbauend wurde eine Zielvorstellung definiert, welche Themenfelder sich für CRUZR genauer angesehen werden sollte (Phase 2). Im Weiteren wurden Reallabore (Phase 3) durchgeführt und evaluiert (Phase 4). Reallabore werden methodisch eingesetzt, um gesellschaftliche Transformationsprozesse anzustoßen und Innovationen mit der Gesellschaft zu entwickeln. Der gegenseitige Lernprozess wird fokussiert. Es wurden teilnehmende Beobachtungen sowie leitfadengestüzte Interviews mit Bewohnenden und Mitarbeiten durchgeführt.
Die Erwartungen an die Aufgaben, die CRUZR übernehmen könnte, unterschieden sich zwischen den Bewohnenden und Mitarbeitenden. Die Einsatzfelder variierten zwischen Kommunikation, Unterstützung im selbständigen Handeln der Bewohnenden sowie Unterstützung im Pflegeprozess. In den Reallaboren waren verschiedene Verhaltensmuster gegenüber dem Roboter zu beobachten.
Die Auswirkung des Roboters auf (Dis)Kontinuitäten von Pflegeheimbewohnenden ist individuell. Dies sollte bei der Entwicklung von Robotern für Pflegeheimbewohnende und der Versorgung berücksichtigt werden.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten in Deutschland zum Jahresende 2019 4,01 Millionen pflegebedürftige Menschen im Sinne des SGB XI; Tendenz steigend. Demgegenüber wird der Pflegesektor im Vergleich zu anderen Branchen als Nachzügler in der Verbreitung digitaler Anwendungen beschrieben. Neben der Hoffnung mit Hilfe digitaler Angebote den Problemen des Pflegesektors wie beispielsweise dem Personalmangel zu begegnen, mischen sich Bedenken hinsichtlich der Sicherheit dieses privaten und intimen Lebensbereiches. Einen Teilbereich von e Health stellen digitale Plattformen dar. Im Zuge der Nutzung von digitalen Plattformen werden bisherige Wertschöpfungsketten zu dynamischen und von mannigfachen Akteuren verwendeten Wertschöpfungsnetzwerken mit einem automatisierten Austausch von Daten. Gerade für die Raumkategorie „ländliche Räume“ wird die Hoffnung genährt, dass konkrete Orte zur Erbringung und Konsum einer Leistung keine Rolle mehr spielen und so das Leben in schwach besiedelten Gebieten besser organisiert werden kann und Standortnachteile substituiert werden können.
Es gilt den Einfluss von digitalen Plattformen im Kontext von Pflegequalität in ländlichen Räumen zu analysieren. Im Rahmen der Forschungsarbeit wurde die Interdependenz der drei Faktoren zunächst einer Literaturrecherche unterzogen. Diese Erkenntnisse dienten zur Entwicklung eines Interviewleitfadens. Die Basis der Untersuchung sind 30 Experteninterviews mit Anbietenden und Entwickelnden von digitalen Plattformen (Betreiber, Entwickelnden, Pflegekassen, WFG).
Die Auswertung der Interviews mit Hilfe der Qualitativen Inhaltsanalyse bildet die Grundlage zur Erstellung eines Best Case Szenarios und eines Worst Case Szenarios. Diese Szenarien wurden anschließend 24 Expertinnen und Experten erneut mit dem Ziel der Bewertung und Verdichtung des Materials vorgelegt. Erste Analysen des Datenmaterials verweisen auf einen interdisziplinären Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Auswirkungen auf die Qualitätsdimensionen nach Donabedian in den Bereichen Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität. Es zeigt sich die Bedeutung der Datensicherheit, der korrekten Verwendung der Daten, dem Aspekt der Vernetzung, dem Ausbau der digitalen Infrastruktur und einer wünschenswerten Steigerung der Medienkompetenz.
Hintergrund: Die pflegerische Versorgung in Deutschland befindet sich in einem Spannungsfeld aus demografisch bedingter Zunahme an Pflegebedarfen (Kochskämper, 2018) und anhaltenden Versorgungsengpässen (Schwinger, Klauber & Chrysanthi, 2019). Der Einsatz von digitalen Assistenzsystemen könnte Entlastungen schaffen (Evans, Hielscher, Voss-Dahm, 2018). Das Projekt AIDA (Akteurszentrierte Integration Digitaler Assistenzsysteme) erforscht, welche Voraussetzungen bei der Implementierung solcher digitalen Assistenzsysteme geschaffen werden müssen, um jene vermuteten Potenziale zu erreichen. Ziel ist es im Zuge mehrerer Forschungszyklen nach und nach ein Rahmenmodell herzuleiten.
Fragestellung: Davon ausgehend, dass in einem solchen Rahmenmodell dynamische und interdependente Aspekte eine für die Pflegeakteure vorteilhafte Nutzung digitaler Assistenzsysteme bedingen, lautet die Fragestellung: Welche dynamischen und interdependenten Aspekte spielen bei der Implementierung digitaler Technologien eine maßgebliche Rolle?
Methodik: Im Projekt AIDA wird ein Mix aus verschiedenen qualitativen Methoden genutzt. Auf der Grundlage früherer Forschung (u.a. Kuo, Liu & Ma, 2013) wird angenommen, dass die digitale Kompetenzentwicklung von Pflegekräften einer dieser Aspekte sein könnte. Fragestellungen zum Kompetenzniveau und zur Kompetenzentwicklung im Bereich Digitalisierung wurden deshalb in leitfadengestützten Interviews, einer Fokusgruppe und einem Workshop sowie in teilnehmenden Beobachtungen bei Schulungsmaßnahmen integriert.
Ergebnis: Während des ersten und zweiten Forschungszyklus (2022/2023) kristallisierte sich die Entwicklung von Kompetenzen als wichtiger Baustein bei der Implementierung digitaler Assistenzsysteme in ambulanten Pflegeprozessen heraus. Vor allem die Heterogenität von Kompetenzniveaus innerhalb der Mitarbeitenden sowie die Anforderungen durch das digitale Assistenzsystem bedingen gezielte Maßnahmen zur digitalen Kompetenzentwicklung.
Schlussfolgerung & Ausblick: Maßnahmen zur digitalen Kompetenzentwicklung werden aktuell als essenzieller Baustein von Implementierungskonzepten digitaler Technik identifiziert. Noch während des ersten Forschungszyklus wurde deshalb im Implementierungskonzept des Projektes AIDA ein Schulungskonzept verankert, welches fortlaufend für weitere Forschungszyklen optimiert wird.
Hintergrund/Fragestellung Herausforderungen des demografischen Wandels sind in der Gesundheitsversorgung eine Zunahme hilfe- und pflegebedürftiger Menschen sowie der zunehmende Personalmangel in der Langzeitpflege. Digitalisierung in der Pflege wird von verschiedenen Entscheidungsträgern als omnipotente Problemlösung betrachtet. Es stellen sich aber diverse Fragen, z.B.: Kann ein digitales Pflegebett in der Langzeitpflege die pflegerische Versorgung unterstützen und ggf. verbessern? Ist es in der Lage Pflegefachberufe und andere Beschäftigte der Pflegeeinrichtung zu entlasten sowie weiterem Ressourcenmangel entgegenwirken? In einer norddeutschen Pflegeeinrichtung wurden knapp 100 digitale Pflegebetten mit der Intention eingesetzt, Pflegefachberufe und andere Beschäftigte zu entlasten sowie eine Verbesserung diverser Qualitätsbereiche zu erreichen.
Methodik: Die Implementation der digitalen Pflegebetten wurde mit einem Mixed Methods Ansatz pflegewissenschaftlich begleitet. Die qualitativen Daten wurden ethnografisch durch teilnehmende Beobachtung und episodischen Interviews erhoben. Die qualitative Datenauswertung erfolgt durch die strukturierende Inhaltsanalyse nach Kuckartz.
Ergebnisse Die Ergebnisse verdeutlichen, dass analoge strukturelle, organisatorische und pflegepraktische Defizite von digitalen Assistenzsysteme weder kompensiert noch korrigiert werden können. Die schon zuvor stark fragmentierte „analoge“ Pflegearbeit sowie die unvollständige prozesshafte pflegerische Versorgung konterkarieren die Intention, digitale Optionen des Pflegebettes, bspw. Monitoring, präventive Alarmierungen, automatische Dokumentation unterstützend, entlastend und versorgungsoptimierend in neue digitalisierte Versorgungsroutinen zu transformieren. Die komplexe Usability des Bettes und unzuverlässige IT-Infrastruktur lassen Pflegeberufe auf tradierte Handlungen zurückgreifen. Eine hohe Fluktuation und inadäquate Anwenderschulungen sind weitere hinderliche Kontextfaktoren.
Zusammenfassung: Zusammenfassend gilt, dass ohne eine prozesshafte pflegefachliche Versorgung und ohne ein alle Kontextfaktoren berücksichtigendes Implementierungs- und Changemanagement, digitale Assistenzsysteme in Einrichtungen des SGB XI im Allgemeinen keine positive Wirkung entfalten können.