Donnerstag, 21.09.2023
14:30 - 16:00
Hörsaal Q016
S08
Participation matters! Zur Rolle und Bedeutung von Partizipation in Technikentwicklung aus Perspektive der Begleitforschung
Moderation: C. Endter, Berlin; F. Fischer, Kempten
Immer mehr Ausschreibungen von Forschungsprogrammen fordern und fördern Partizipation – gerade auch in Technikentwicklung in gesundheitlichen und pflegerischen Kontexten. Wie aber kann Partizipation erfolgreich in diesen Feldern gelingen? Und was heißt überhaupt erfolgreich?
Insbesondere in gerontologischen, gesundheitlichen und pflegerischen Kontexten ist partizipative Forschung aufgrund der Heterogenität und Diversität der Anwendungskontexte und Nutzer:innen voraussetzungsreich. Um diesen Herausforderungen in partizipativ ausgerichteten Technikentwicklungsprojekten gerecht zu werden, bedarf es einer kontinuierlichen und kritischen Reflexion der partizipativen Praxis und der Beteiligung von Stakeholdern, um Scheinpartizipation zu vermeiden und tatsächliche Teilhabe und Mitwirkung zu ermöglichen.
Um eine solche kritisch-reflexive Perspektive möglichst frühzeitig einzubringen und partizipative Vorhaben zu begleiten, Erfahrungen daraus zu sammeln und übergreifend zu reflektieren, werden mittlerweile vermehrt Begleitforschungsprojekte in Förderbekanntmachungen aufgenommen. In diesen Begleitforschungsprojekten wird unter anderem in Bezug auf den Einsatz und die Weiterentwicklung partizipativer Ansätze sowie die jeweilige Passfähigkeit zur geplanten Zielgruppe der Beteiligung beraten. Entsprechende Vorhaben der Begleitforschung sehen einen iterativen Prozess vor, in welchem Serviceleistungen für die Projekte angeboten werden und zugleich Forschungsaktivitäten durchgeführt werden. Durch eine systematische Verschränkung von Service- und Forschungsebene lassen sich erkenntnistheoretische Fragen aufgreifen, denen in jeweils einzelnen Forschungs- oder Technikentwicklungsprojekten nicht nachgegangen werden kann. Die aus diesen Vorhaben gewonnenen Erkenntnisse sollen für Forschung und Praxis nutzbar gemacht werden, um somit geeignete Formen der Beteiligung aufzuzeigen.
Im Rahmen des Symposiums werden Erfahrungen aus entsprechenden Begleitforschungs- und Technikentwicklungsprojekten aus Förderlinien des Bundesministeriums für Bildung und Forschung geteilt und diskutiert, welche sich mit der Partizipation und Co-Creation älterer Menschen an der Entwicklung gesundheits- und pflegebezogener Technologien befassen. Dabei steht aus verschiedenen Perspektiven die Frage im Vordergrund, was Begleitforschung ist, macht und kann und inwieweit diese auch zur Reflexion partizipativer Forschung im gerontologischen Kontext dienen kann.
Fragestellung: Partizipative Technikentwicklung wird in gerontologischen, gesundheitlichen und pflegerischen Kontexten immer häufiger genutzt. Es bestehen vielfältige Methoden zur Einbindung zukünftiger Nutzer:innen(gruppen) in die Entwicklung entsprechender Technologien; zugleich zeigen sich unterschiedliche konzeptionelle Verständnisse von Partizipation und Co-Creation hierbei. Daher soll im Vortrag ein Überblick über das Verständnis und den Einsatz von Partizipation und Co-Creation gegeben werden.
Methodik: Dazu wurde ein Scoping Review in PubMed durchgeführt, um zwischen 2010 und 2022 veröffentlichte Primärpublikationen zu identifizieren, in denen die partizipative Entwicklung von gesundheits- oder pflegebezogener Technik beschrieben wurde. Die Titel und Abstracts von 6.451 identifizierten Treffern wurden durch jeweils mindestens zwei unabhängige Reviewer:innen auf inhaltliche Passung gescreent. Die in das Volltextscreening eingeschlossenen Beiträge wurden für eine sowohl deduktive als auch induktive Kategorienbildung herangezogen, mit welcher das in den Publikationen verschriftlichte Verständnis von Partizipation und Co-Creation sowie die eingesetzten Methoden des Einbezugs von Nutzer:innen herausgearbeitet wurde.
Ergebnisse: Mehr als ein Drittel der identifizierten Studien wurde allein im letzten Jahr des betrachteten Zeitraums veröffentlicht. Insgesamt zeigt sich, dass Partizipation oder Co-Creation zwar als Begrifflichkeiten verwendet werden, damit verbundene Konzepte und Methoden jedoch vielfach nicht näher beschrieben sind. Die Beiträge machen deutlich, dass Partizipation zumeist nur in einzelnen Phasen des Technikentwicklungsprozesses stattfindet, die methodische Umsetzung sehr divers ist und auch die Tiefe der Nutzer:innenbeteiligung vielfach nicht ersichtlich ist.
Zusammenfassung: Die Zunahme an Studien über den Zeitverlauf weist auf die Relevanz und stärkere Wahrnehmung partizipativer Technikentwicklung hin. Wenig differenzierte Beschreibungen der eingesetzten Methoden und dahinterliegender Konzepte der partizipativen Technikentwicklung machen jedoch deutlich, dass Bedarf an weiterer Reflexion in Bezug auf Anwendung und Gelingensbedingungen von Partizipationsansätzen besteht. Dies gilt insbesondere, um nicht nur eine Passung zu Förderbekanntmachungen zu schaffen, sondern insbesondere eine gelingende Einbindung der durchaus diversen Nutzer:innengruppen, wie z.B. älteren Menschen, in den Technikentwicklungsprozess zu ermöglichen.
Im Gesundheitsbereich gewinnen hybride Technologien an Bedeutung. Damit diese in der Praxis diverser Nutzendengruppen einen sinnstiftenden Platz finden, ist eine These, dass partizipative Ansätze in der IT-Gestaltung dafür hilfreich sein können. Das Begleitforschungsprojekt CoCre-HIT untersucht die Möglichkeiten und Herausforderungen der Partizipation und Co-Creation bei der Entwicklung dieser Technologien. Das multidisziplinäre Konsortium berät und vernetzt acht Projekte der Förderlinie „Hybride Interaktionssysteme zur Aufrechterhaltung der Gesundheit auch in Ausnahmesituationen“ in allen Forschungsphasen durch partizipative Lern- und Austauschformate und co-evaluiert prozessbegleitend die Co-Creation der Verbundprojekte. Die gewonnenen Erkenntnisse werden für Forschung und Praxis nutzbar gemacht werden, um geeignete Formen der Beteiligung in spezifischen Feldern des Einsatzes von IT im Gesundheitsbereich aufzuzeigen.
Im Rahmen der Förderlinie führt CoCre-HIT Forschungswerkstätten als zentralen Raum für interdisziplinären Austausch fort, basierend auf Erkenntnissen mit dem Format in einem vorhergegangenen Begleitprojekt (BeBeRobot/ Förderlinie: „Robotische Systeme für die Pflege“). Die Forschungswerkstätten dienen dem Einholen methodischer Informationen aus verschiedenen Verbundprojekten, dem Geben methodischer Inputs und der Förderung der projektübergreifenden Diskussion und Vernetzung. Sie ermöglichen den Austausch zwischen unterschiedlichen Stakeholdern, wie Wissenschaftler:innen, Unternehmen und Gesundheitsexpert:innen, um interdisziplinäre Perspektiven zu erkunden und zu vertiefen. Die Themenfelder der Forschungswerkstätten werden partizipativ mit den Verbundprojekten ermittelt, um relevante Themen interdisziplinär zu diskutieren.
Darüber hinaus unterstützt CoCre-HIT den Austausch und das Lernen innerhalb der Förderlinie durch informelle Coffee-Meetings, die Vernetzungsplattform Humhub und Vernetzungssymposien. Der Blog der CoCre-HIT-Website dient dem Wissenstransfer und beinhaltet Zusammenfassungen und Reflexionen zu Forschungswerkstätten und Vernetzungssymposien, Podcasts mit Projektbeteiligten sowie Portraits der Verbundprojekte.
Das erste Vernetzungssymposium war ein großer Erfolg und Meilenstein für die Förderlinie, da es erheblich zum Vertrauensaufbau und zur projektübergreifenden Zusammenarbeit beitrug. Direkte Effekte auf die Kooperation und die Diskussionen in den Forschungswerkstätten sowie eine offene Atmosphäre wurden spürbar.
Ein Schlaganfall ist weltweit die zweithäufigste Todesursache und eine Hauptursache von Behinderungen im Erwachsenenalter, deren Auftreten seit einigen Jahren zunimmt (Feigin et al., 2021). Ursache ist unter anderem der demographische Wandel, da die Prävalenz im Alter überproportional ansteigt (Busch & Kuhnert, 2017). Durch einen Schlaganfall sind häufig auch die Sprach- und Sprechfunktionen betroffen. 20% der Menschen leiden nach einem Schlaganfall an chronischer Aphasie, Dysarthrie, Sprechapraxie und/oder zentraler fazialer Parese. Die Störungen wirken sich direkt auf die Kommunikation aus und führen häufig zu sozialer Isolation.
Eine sprachtherapeutische Versorgung soll negativen Folgen entgegengewirken. Unabhängig vom jeweiligen Therapieansatz ist hier die Therapiefrequenz der entscheidende Erfolgsfaktor (Breitenstein et al., 2017). Um längerfristig die Kontaktzeiten in der ambulanten sprachtherapeutischen Versorgung zu erhöhen, sind innovative Konzepte gefragt.
Das Projekt „Hybride und interaktive Sprach- und Sprechtherapie nach Schlaganfall, HiSSS“ verfolgt das Ziel, die logopädische Therapie nach Schlaganfall um ein hybrides Interaktionsformat zu erweitern. Es soll ein technikgestütztes, interaktives Therapiesystem für die Logopädie entwickelt werden, das sowohl für die Präsenz- und Videotherapie, als auch für das Eigentraining nutzbar sein soll. Eingebunden werden neuartige Elemente, wie die automatische Auswertung von Audio- und Videosignalen. So können die Spracherkennung oder eine Analyse der orofazialen Beweglichkeit als ergänzende objektive Perspektive für die Therapie genutzt werden. Für ein nachhaltiges und zielgruppenspezifisches Ergebnis, erfolgt der Entwicklungsprozess nutzer*innenorientiert. In Form von Fokusgruppen und Workshops werden von Schlaganfall Betroffene und Logopäd*innen von Beginn an in den Entwicklungsprozess eingebunden. So sollen die Anforderungen und Bedarfe der zukünftigen Anwender*innen im komplexen Technikentwicklungsprozess berücksichtigt werden.
Im Rahmen dieses Beitrags werden Erfahrungen aus dem Projekt HiSSS zur Partizipation von Menschen mit Schlaganfall präsentiert. Dabei werden insbesondere methodische Anpassungen an die Bedürfnisse älterer sprachlich eingeschränkter Personen thematisiert sowie das Spannungsfeld zwischen therapeutischer und forschender Perspektive aufgezeigt. Im Fokus der Diskussion stehen Potentiale und Grenzen der Partizipation sowie ihre Bedeutung im Zusammenhang mit Technikentwicklungen.
Hintergrund: In Deutschland sind ca. 7 Millionen Menschen an Diabetes mellitus (DM) erkrankt. Jeder vierte an DM erkrankte Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens ein diabetisches Fußsyndrom. Technische Hilfsmittel können Patient*innen in ihrem Selbstmanagement unterstützen. Im Rahmen des vom BMBF geförderten Projekts HIS4DiaPedes wird ein hybrides Interaktionssystem entwickelt und erprobt. Ziel ist, den Patient*innen die Möglichkeit zu geben, ihre Versorgungsprozesse integriert zu steuern und ihr Selbstmanagement zu optimieren. Die Entwicklung soll unter Beteiligung der Betroffenen gestaltet werden, sodass eine erste Bedarfsanalyse von hoher Relevanz ist. In diesem Beitrag werden Anforderungen und Präferenzen von Patient*innen und medizinischen Dienstleister*innen, die an der Versorgung von Patient*innen mit DM beteiligt sind, bezüglich technischer Hilfsmittel, insbesondere hybrider Interaktionssysteme, dargestellt.
Methoden: Die Erhebung erfolgt sowohl quantitativ mithilfe eines Online-Fragebogens (LimeSurvey), als auch qualitativ mit Hilfe von semistrukturierten Interviews mit Patient*innen und Dienstleister*innen. Die Auswertung erfolgt deskriptiv mithilfe von Python. Interviews werden auditiv aufgezeichnet, wortwörtlich transkribiert und inhaltsanalytisch in Anlehnung an Mayring ausgewertet.
Ergebnisse: Erste Ergebnisse der Bedarfsanalyse liegen zum Zeitpunkt der Tagung vor. Ergebnisse beziehen sich auf den alltäglichen Umgang der Patient*innen mit der Diabetes mellitus Erkrankung, auf die derzeitige Nutzung digitaler Hilfsmittel zum Selbstmanagement des DM sowie auf die Anforderungen (z.B. hinsichtlich Interaktion, Monitoring) an den Demonstrator HIS4DiaPedes.
Schlussfolgerung: Ergebnisse der gemischt-methodischen Bedarfsanalyse mit Patient*innen und medizinischen Dienstleister*innen dienen als Grundlage für die Entwicklung eines nutzerzentrierten hybriden Interaktionssystems.