Donnerstag, 21.09.2023
10:30 - 12:00
Hörsaal Q015
S01
Mobilität, Aktivität und Bewegungstraining – Messung und Förderung durch Sensoren
Moderation: S. Mümken, Berlin
Verhaltensbeobachtungen und Veränderungen in den Bereichen Mobilität, körperlicher Aktivität und dem Training von Bewegung stehen im Fokus vieler gerontologischer Beobachtungs- und Interventionsstudien. Sensorbasierte Messmethoden in Form von am Körper getragenen Wearables (z.B. Beschleunigungs-, Blutdruck- und GPS-Sensoren) bieten hier die Möglichkeit eine Vielzahl objektiver Daten auf täglicher Basis zu erheben und Trainingsprogramme an individuelle Bedürfnisse anzupassen.
Im Symposium werden drei unterschiedliche sensorgestützte Messmethoden und Anwendungsmöglichkeiten aus der Präventionsforschung vorgestellt und diskutiert.
Im ersten Projekt wird zu Zwecken der Prävention von Diabetes und dessen Folgeerkrankungen die Ausübung alltäglicher körperlicher Aktivität gefördert. Mittels Aktivitäts-Tacker werden u.a. Schritte registriert und mittels einer App als digitale Intervention das Bewegungsverhalten abgebildet. Menschen mit und ohne Diabetes werden in einem randomisierten Design längsschnittlich untersucht. Analysiert werden Effekte auf diverse medizinische, bewegungsorientierte sowie psychologische Variablen.
Das zweite Kooperationsprojekt hatte das Ziel ein sensor-basiertes immersives Bewegungsspiel zu entwickeln. Dabei wird das Trainingsprogramm an die Bedürfnisse von älteren Menschen mit Bluthochdruck angepasst und in einer Virtual Reality durchgeführt. Das personalisierte Feedback und die erhobenen Sensordaten während des Trainings werden zum Self-Monitoring verwendet.
Im dritten Projekt wird eine Interventionsstudie zur Förderung außerhäuslicher Mobilität von Menschen über 75 Jahren im ländlichen Raum durchgeführt. Daten zur außerhäuslichen Mobilität wurden mittels App durch GPS-Sensoren in einen handelsüblichen Smartphone erhoben. Aus den gewonnenen Rohdaten können wichtige Parameter, wie die am Tage außerhalb der Wohnung verbrachte Zeit gewonnen werden, die sich mit weiteren Umweltdaten in Verbindung bringen lassen.
In der abschließenden Diskussion werden die Barrieren und Ressourcen sensorgestützter Verfahren zur Datenerhebung sowie deren Potential bei der Durchführung von Verhaltensinterventionen diskutiert. Hierbei sind insbesondere die Akzeptanz der Studienteilnehmenden, der Umgang mit den großen gesammelten Datenmangen sowie die Auswertung der gewonnenen Daten in Verbindung mit weiteren Datenquellen (z.B. Fragebogendaten) zu nennen.
Einleitung: Digitale Tools (z.B. Aktivitätstracker) werden zunehmend zur Behandlung von Typ II Diabetiker*innen eingesetzt, um u.a. durch self-tracking ihre Bewegungsaktivität zu erhöhen. Während bereits Befunde zu Effekten von self-tracking auf die Bewegungsaktivität und körperliche Gesundheit von Typ II Diabetiker*innen vorliegen (u.a. Kooiman et al., 2018), sind Effekte auf psychologische Determinanten körperlich-sportlicher Aktivität (z.B. Volition) weniger gut untersucht (Pelletier et al., 2021).
Methode: In der kürzlich abgeschlossenen randomisiert-kontrollierten Längsschnittstudie „ActiVAtE_Prevention“ wurden über neun Monate 236 Erwachsene mit und ohne Diabeteserkrankung in der ambulanten Versorgung untersucht. Jeweils die Hälfte trug einen Aktivitätstracker über einen Zeitraum von sechs Monaten. Erhoben wurden zu vier Messzeitpunkten u.a. motivationale und volitionale Parameter sowie affektive Einstellungen zu körperlicher Aktivität. Die Daten wurden durch gemischte lineare Modelle ausgewertet.
Ergebnisse: In den Ergebnissen zeigt sich ein signifikant positiver Effekt der Intervention auf die Wiederaufnahme-Selbstwirksamkeit der Diabetiker*innen zum zweiten Messzeitpunkt (b = 0.68, p = .01) sowie ein tendenziell signifikanter Effekt auf dieselbe Variable zum Retentionstest (b = 0.56, p = .05). Unabhängig von Intervention und Gesundheitsstatus verbesserte sich die affektive Einstellung zu körperlicher Aktivität signifikant zum letzten Messzeitpunkt (b = 0.34, p = .03). Ebenso nahmen alle Probanden zum zweiten Messzeitpunkt fehlende Motivation zur Aktivität weniger als Barriere wahr (b = -0.25, p = .03).
Diskussion: Die Ergebnisse weisen auf die Schwierigkeit hin, Determinanten körperlicher Aktivität bei Diabetiker*innen durch Aktivitätstracker zu beeinflussen. Trotz erschwerter Bedingungen durch die COVID-19 Pandemie gilt es, die geringen Effekte vor dem Hintergrund von Theorien zur Verhaltensänderung zu diskutieren. Detailliertere Analysen unter Einbeziehung von Kovariaten (u.a. BMI, Geschlecht, Alter) stehen jedoch noch aus.
Fragestellung: In der Studie wurde ein Virtual Reality (VR) Training für Senior:innen mit Hypertonie über 6 Wochen durchgeführt. Folgende Fragestellung wurde dabei untersucht: Zu welchen Effekten führt das 6-wöchige Training hinsichtlich Herzfrequenz (HF), Blutdruck (RR), körperliche Mobilität (SPPB – Short Physical Performance Battery) und Motivation (IMI – Intrinsic Motivation Inventory).
Methode: Das Studiendesign entsprach einer randomisierten kontrollierten Pilotstudie. Neben der Interventionsgruppe (IG), die ein 6-wöchiges Training in der VR absolvierte, führte die Kontrollgruppe (KG) ein konventionelles Gruppentraining durch. Das Training wurde zweimal wöchentlich durchgeführt und bestand aus einer Kraftausdauer- und einer Ausdauertrainingseinheit, die im Wechsel stattfanden. Eine Trainingseinheit (TE) umfasste etwa 20 bis 30 min entsprechend der Wiederholungszahl und Sätze, mit dem Ziel eine Trainingsintensität von 40 bis 60 % zu erreichen. Das Monitoring der HF während jeder TE erfolgte mittels der Smartwatch Polar® M600. Die Untersuchungen fanden einerseits als Prä-Post-Test (RR, SPPB) und andererseits als Verlaufskontrolle innerhalb des Trainingszeitraumes statt (HF, IMI).
Ergebnisse: In die Stichprobe konnten 35 Personen mit essentieller Hypertonie eingeschlossen werden, die im Verhältnis 2:1 randomisiert auf IG und KG verteilt wurden. Die IG (n=23) hatte ein mittleres Alter von 75,8 ± 4,7 Jahren und die KG (n=12) von 74,6 ± 5,2 Jahren. Die Ergebnisse der Herzfrequenz zeigten im Prä-Post-Vergleich keine signifikanten Unterschiede innerhalb und zwischen den Gruppen. Insgesamt konnten während der TE in beiden Gruppen ein signifikanter Anstieg der Herzfrequenz verzeichnet werden (IG: p<.001, KG: p<.001). Die Zielintensität von 40 bis 60% konnte im Mittel nur die IG erreichen. Der systolische (p<.001) und diastolische (p<.001) RR reduzierte sich ausschließlich in der IG signifikant. Gruppenunterschiede gab es keine. Der Score der SPPB verbesserte sich in beiden Gruppen signifikant (IG: p=.036, KG: p=.031). Beim IMI nahmen die Werte der Dimension Druck/Anspannung in der IG signifikant ab (p=.031); in der IG (p<.001) und KG (p=.014) erhöhte sich signifikant die wahrgenommene Kompetenz.
Schlussfolgerung: Ein 6-wöchiges Training in der VR erhöhte die Parameter HF und SPPB und reduzierte den RR bei Personen mit Hypertonie. Zudem konnte ein positiver motivationaler Faktor in den Dimensionen Druck/Anspannung und wahrgenommene Kompetenz festgestellt werden.
Fragestellung: Der Erhalt außerhäuslicher Mobilität ist ein wichtiger Faktor für gesundes Altern und bedingt sich auf ein Zusammenspiel von persönlichen, sozialen und umweltbezogenen Faktoren. Die Rolle der Gesundheitskompetenz ist in diesem Zusammenhang noch unklar und soll in dieser Studie genauer betrachtet werden.
Methodik: Als Teil der MOBILE-Studie dienten Beobachtungsdaten von 198 zuhause lebenden Personen (75+) aus einer ländlichen Gegend als Grundlage. Mittels eines GPS-Trackers wurden Bewegungsdaten über 7 Tage aufgezeichnet. Die außerhäusliche Mobilität ist als Größe der konvexen Hülle in km2 pro Tag angegeben. Persönliche (Gesundheitskompetenz, Sorge vor Corona, Depression), soziale (Soziales Netzwerk), und umweltbezogene Faktoren (Anteil an Grünflächen, Anzahl an Geschäften, jeweils 500m Radius), sowie Alter und Geschlecht wurden einmalig CAPI-unterstützt 06/2021 - 09/2022 erhoben. Lineare gemischte Modelle wurden gerechnet, um die Assoziationen mit außerhäuslicher Mobilität zu schätzen.
Ergebnisse: Im Durchschnitt waren die Studienteilnehmende 82 Jahre alt (SD=4), davon 56 % weiblich und zeigten eine durchschnittliche tägliche außerhäusliche Mobilität von 44.27 km2 (SD=286). Gesundheitskompetenz (B=1.77; p=.002), Sorge vor Corona (B=-8.26, p=.049) und Anteil an Grünflächen (B=.68, p<.001) zeigten signifikante Ergebnisse, während körperliche Gesundheit, Depression, soziales Netzwerk, Anzahl an Geschäften, Alter und Geschlecht nicht signifikant mit außerhäuslicher Mobilität assoziiert waren (p>0.05).
Zusammenfassung: Die Ergebnisse deuten an, dass spezifische Faktoren die Mobilität älterer Menschen im ländlichen Raum beeinflussen. Eine gezielte Förderung der Gesundheitskompetenz und der Aufklärung über die Bedeutung von Grünflächen für die Gesundheit könnte dazu beitragen die Mobilität dieser Zielgruppe zu erhöhen. Weitere Forschung ist notwendig, um diese Assoziationen zu vertiefen und ihre Implikationen für die Praxis zu klären.
Einleitung/Fragestellung: Innovative digitale Unterstützungssysteme erlangen in der stationären Langzeitversorgung zunehmend an Bedeutung. Dabei bieten einige Technologien einerseits das Potential, einen wertvollen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Selbstständigkeit im fortgeschrittenen Alter zu leisten. Andererseits können sie dazu beitragen, die Arbeitsprozesse professionell Pflegender zu unterstützen. Neue Technologien erfolgreich in der Altenpflegepraxis zu implementieren ist jedoch äußerst komplex, da es sich hier um einen „low tech“-Bereich handelt und die Einbindung digitaler Technologien noch am Anfang steht. Daher ist das Ziel der vorliegenden Studie, die Erwartungen an und Erfahrungen mit einer neuen Technologie – am Beispiel einer Sturzsensorik – aus Sicht der professionellen Pflege zu erheben. Da die Erwartungen und bisherigen Technikerfahrungen der Pflegefachkräfte einen erheblichen Einfluss auf den erfolgreichen Einsatz einer Technologie nehmen, ist es bedeutsam, jene Faktoren zu identifizieren, welche den Implementationsprozess begünstigen oder behindern.
Methode: Es wurde ein qualitatives Design verwendet, bei dem halbstrukturierte Interviews in zwei langzeitstationären Einrichtungen erfolgten. Interviewt wurden drei Pflegefachkräfte mittels Einzelinterview und drei Pflegefachkräfte in einem Gruppeninterview. Zusätzlich erfolgten Einzelinterviews mit zwei Personen in Leitungsfunktion. Zwischen der Implementation der Sturzsensoren und den Interviews lag ein Zeitrahmen von 1–3 Monaten. Die Daten wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse in MAXQDA 12 ausgewertet.
Ergebnisse/Schlussfolgerung: Grundsätzlich konnte durch die Studie aufgezeigt werden, dass eine Übereinstimmung zwischen Erwartungen auf und retrospektiven Erfahrungen mit der neuen Technologie bei den professionell Pflegenden bestand. Die Studie ergab folgende fördernde Faktoren der Implementation: Die zeitnahe Information über die Sturzgefährdung oder einen stattgefundenen Sturz, die Aufrechterhaltung der Autonomie, Bewegungsfreiheit sowie Sicherheit der Bewohner:innen und der psychische Entlastungseffekt der Pflegefachkräfte. Als hemmende Faktoren der Implementation standen notwendige Voreinstellungen, Fehlalarme sowie der fehlerhafte Umgang mit der Technologie aufgrund von fehlendem Wissen im Vordergrund. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass dem Wunsch nach angemessenen Schulungen für alle Beteiligten nachgekommen werden sollte, um den Implementationsprozess zu optimieren.
Diskutantin: Bünning, Farina (Berlin)