Freitag, 22.09.2023

11:45 - 13:15

Raum Q113

E11

Gesundheitliche und pflegerische Versorgung im räumlichen Kontext

Moderation: B. Wolter, Berlin

11:45
Der Zusammenhang zwischen psychosozialen Ressourcen und Life-Space Mobilität bei älteren Menschen über 75 Jahren im ländlichen Raum
E11-1 

S. Mümken, C. Haeger, M. Brauer, R. P. Spang, P. Gellert; Berlin

Hintergrund: Life-Space Mobilität (LSM) ist ein umfassendes Konzept, welches Mobilität im Sinne der Bewegung durch räumlich-geographische, vorwiegend außerhäusliche, Umwelten erfasst. Eingeschränkte LSM ist mit negativen Gesundheitsoutcomes wie Depression, Einschränkung sozialer Aktivitäten und Frailty verbunden. Aktuell werden verschiedene persönliche, soziale und umweltbezogene Einflussfaktoren auf die LSM untersucht. Modifizierbare verhaltensbezogene Faktoren wie volitionale Planung außerhäuslicher Aktivitäten oder Gesundheitskompetenz wurden bisher selten betrachtet; deren Assoziationen mit LSM werden daher vorliegend untersucht.

Methode: Baseline Daten einer Interventionsstudie (N=212) zur Förderung außerhäuslicher Mobilität bei Menschen über 75 Jahren im ländlichen Raum wurden analysiert. Mittels multipler hierarchischer Regression wurde der Zusammenhang zwischen LSM (LSA-D), Alter (Jahre), funktionaler Mobilität (DEMMI), dem Zusammenleben mit anderen Personen, Depression (GDS), Planung (nach Schwarzer 2008) und Gesundheitskompetenz (HLS-EU-Q16) geschätzt.

Ergebnisse: Nach Prüfung der statistischen Voraussetzungen konnten die Daten von n=211 Personen in die Analyse eingeschlossen werden. Das Alter (β = -,263 p< ,001) und funktionelle Mobilität (β = ,501 p< ,001) erklärten bereits signifikante 43,8% der Varianz der LSM. Der Einschluss der Variablen Depression, Zusammenleben und Gesundheitskompetenz hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Höhe der Varianzaufklärung. Nach Einschluss von Planung (β = ,231 p< ,001) erklärte das finale Modell signifikant mehr Varianz (48,9 %) in der LSM.

Diskussion: Der in anderen Studien gefundene Zusammenhang zwischen LSM und den psychosozialen Faktoren Depression, Zusammenleben und Gesundheitskompetenz konnte nicht bestätig werden. Es zeigte sich jedoch ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen dem Faktor volitionaler Planung und LSM. Methoden der Planung und Visualisierung von Zielen könnten genutzt werden, um LSM, im Rahmen von Interventionen für ältere Menschen, zu verbessern.

12:05
Soziale und gesundheitliche Ungleichheit in der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung Hochaltriger
E11-2 

M. Hasseler, A. Heitmann-Möller, S.-N. Ruppert, D. Hahm, E. Nowossadeck; Wolfsburg, Berlin

Fragestellung: Angesichts der steigenden Lebenserwartung und der Ausdehnung der Lebensspanne stellt sich die Frage, welche Gesundheits- und Pflegebedarfe hochaltrige Menschen in verschiedenen Ländern haben, wie diese Bedarfe erfüllt werden und ob sie von sozialen Milieus und dem Geschlecht abhängen. Im Beitrag werden Fragestellungen untersucht, ob es Erkenntnisse über soziale und gesundheitliche Ungleichheit in der Versorgung hochaltriger Menschen gibt, ob Unterschiede bezüglich sozialer Determinanten, Geschlecht und Region zu identifizieren sind und ob Kriterien in der Gesundheits- und Langzeitpflege eruiert werden können, welche die gesundheitlichen Ungleichheiten erklären.

Methodik: Es wurde ein Scoping Review durchgeführt. Anhand von 5 Suchstrings wurde in 4 Literaturdankenbanken nach Veröffentlichungen zu oben genannten Fragestellungen gesucht. Es ergaben sich zunächst über 65.000 Treffer, von denen nach Ausschluss von Doubletten sowie von Veröffentlichungen ohne thematische Übereinstimmung letztlich 15 Studien in die Textanalyse eingeschlossen wurden.

Ergebnisse: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Ungleichheiten in der Versorgung mit der strukturellen Ausrichtung des Systems einhergehen. Stärkere Ungleichheiten sind eher in marktorientierten Versorgungssystemen zu beobachten als in Systemen mit einem stärker öffentlich finanzierten Angebotssystem. Auch scheint es Unterschiede zwischen asiatischen und europäischen Ländern hinsichtlich Status und Zugang zu sozialen Absicherungssystemen zu bestehen. Ein „Tipping Point“ vor dem Hintergrund des deutschen Pflegebedürftigkeitsbegriffes lässt sich nicht in der internationalen Literatur identifizieren. Allerdings werden Faktoren bzw. Prädiktoren genannt, die Aussagen zum Risiko für den Übergang von akut-stationären Krankenhausaufenthalten oder generell für den Übergang vom häuslichen in den stationären Bereich machen. So zeigt die Kombination von körperlichen Verschlechterungen mit Geschlecht, der Tendenz zum Alleinleben und der Zunahme von Unfallereignissen ein höheres Risiko für Pflegebedürftigkeit.

Fazit: Die Ergebnisse des Scoping Review zeigen, dass weiterhin ein deutliches Forschungsdesiderat besteht. Die Frage ist, ob zwischen Altersstruktur einer Bevölkerung und der ökonomischen Ausrichtung eines Gesundheits- und Pflegesystems Zusammenhänge bestehen und wie sie möglicherweise dann soziale und gesundheitliche Ungleichheit im Alter und die Benachteiligung pflegender Angehöriger verstärken.

12:25
Die Bedeutung digitaler Plattformen in der Organisation ambulanter Pflegedienste unter besonderer Berücksichtigung der Verräumlichung von Angeboten
E11-3 

E. Janacek; Kassel

Digitalisierung ist auch in der Pflege seit einigen Jahren ein prominentes Thema und wird häufig mit Hoffnungen zur Verbesserung der Versorgung, insbesondere in ländlichen Räumen verbunden. Einen bisher nur unzureichend erforschten Aspekt der Digitalisierung der Pflege stellen digitale Plattformen dar. Daher ist das Ziel der Arbeit, die Rolle von digitalen Plattformen für Organisationen der Erbringung pflegerischer Dienstleistungen zu untersuchen. Insbesondere geht es dabei um Auswirkungen digitaler plattformbasierter Dienstleistungen auf die Organisation ambulanter Pflegedienste unter Berücksichtigung der Verräumlichung pflegerischer Angebote. Der Vortrag stellt die ersten Ergebnisse eines Promotionsvorhabens vor. Um Implementierungsbedingungen, Nutzungsstile und Auswirkungen digitaler plattformbasierter Dienstleistungen in ambulanten Pflegediensten zu untersuchen, wurden qualitative leitfadengestützte Interviews mit Geschäftsführungen und Pflegedienstleitungen ambulanter Pflegedienste geführt. Als Ergebnisse sollen unterschiedliche Implementierungs- und Nutzungsweisen sowie Folgen verschiedener plattformbasierter Dienstleistungen in ambulanten Pflegediensten mit ihren je unterschiedlichen organisationalen und räumlichen Bedingungen dargestellt und eine empirisch basierte Konzeptualisierung von Formen deren organisationaler Aneignung vorgenommen werden.

Die bisherigen Auswertungen zeigen, dass die Implementierung und Nutzung sich jeweils fallspezifisch unter Abwägung und Berücksichtigung unterschiedlicher Zielsetzungen vollziehen; darunter: wirtschaftliche, pflegefachliche, aufs Patientenwohl bezogene, ethische und die Arbeitsbedingungen und Mitarbeiterzufriedenheit betreffende. Dabei werden auch unterschiedliche Raumbezüge relevant. Bezüglich der Versorgungssituation ländlicher Räume bergen plattformbasierte Dienstleistungen verschiedene, teils gegenläufige Möglichkeiten der Reorganisation pflegerischer Angebote und deren Erbringung. Zusammenfassend kann vorläufig festgehalten werden, dass sich die Nutzung plattformbasierter Dienstleistungen in den untersuchten Fällen auch entlang der derzeitigen Rahmenbedingungen der ambulanten Pflege und entsprechend der Herausforderungen und Anforderungen der ambulanten Pflegedienste vollzieht.

12:45
Sozialberatung in Hausarztpraxen zur Gesundheitsförderung von älteren Menschen
E11-4 

T. Stellmacher, B. Wolter; Berlin

Die Forderung nach einer ambulanten gesundheitlichen Versorgung älterer Menschen, die nicht nur eine rein medizinische Behandlung abdeckt, sondern auch soziale  Unterstützungsbedarfe und Lebenslagen berücksichtigt, besteht seit geraumer Zeit. Bereits 1980 verabschiedete der 83. Deutschen Ärztetag seine „Gesundheits- und Sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft“, in deren Folge in den 1980er Jahren konkrete Empfehlung zur Zusammenarbeit zwischen Ärzt*innen und Sozialarbeiter*innen für die ambulante Behandlung älterer Menschen erarbeitet wurden.  Vor dem Hintergrund offener Finanzierungsfragen wird dieser Ansatz bis heute selten umgesetzt, erlebt mit der Kritik an den bestehenden medizinischen Versorgungsstrukturen und den Forderungen nach einer sektorenübergreifenden ambulanten Gesundheitsversorgung gegenwärtig aber neuen Schwung. Bestes Beispiel ist dafür der aktuelle Vorschlag zur bundesweiten Einrichtung von "Gesundheitskiosken". Verfolgt wird der Ansatz einer in Hausarztpraxen integrierten Sozialberatung für ältere Menschen seit 2020 in Berlin Lichtenberg im Rahmen eines durch die Lottostiftung geförderten und durch das Bezirksamt unterstützten Modellvorhabens. In 14 Hausarztpraxen wird durch den Verein soziale Gesundheit e. V. einmal wöchentlich eine Sozialberatung angeboten. Mit dem Angebot sollen Schnittstellen zwischen dem medizinischen und pflegerischen Versorgungsystem und der Altenhilfe für die Patient*innen besser ausgestaltet und komplementäre gesundheitliche, präventive und soziale Angebote in deren Versorgung eingebunden werden. Erreicht werden soll damit die Entlastung der beteiligten Hauarztpraxen bei sozialen Problemlagen sowie die Verbesserung der Lebensqualität von Familien in schwierigen Lebenslagen und vulnerablen älteren Patient*innen.  Das Institut für Gerontologische Forschung e. V. führte 2020 und 2021 Befragungen unter den älteren Patient*innen, die die Sozialberatung in Anspruch nahmen, und unter den Hausärzt*innen, die mit soziale Gesundheit e. V. kooperieren, durch. Im Zentrum standen hierbei die Fragen, inwieweit das Angebot sich (1) förderlich auf die Lebensqualität der älteren Menschen auswirkt und (2) zu einer Entlastung der Hausärzt*innen beiträgt. In dem Beitrag werden ausgewählte Ergebnisse der Begleituntersuchung sowie Grundzüge des Konzeptes berichtet und zur Diskussion gestellt.

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