Freitag, 22.09.2023

11:45 - 13:15

Raum Q114

S28

Gemeinsam auf Distanz: Soziale Integration in der Corona-Pandemie

Moderation: O. Huxhold, Berlin

Soziale Integration im Alter ist facettenreich. Sie entsteht durch die Einbindung in individuelle Netzwerke bestehend aus unterschiedlichen sozialen Beziehungen, beinhaltet den wechselseitigen Austausch instrumenteller und emotionaler Unterstützung und eröffnet Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe. Ein hohes Maß an sozialer Integration leistet einen unverzichtbaren Beitrag zum physischen und psychischen Wohlergehen im Alter. Gleichzeitig können quantitative oder qualitative Mängel in sozialen Beziehungen mit dem Erleben von Einsamkeit einhergehen und das individuelle Wohlbefinden nachhaltig schädigen. Die Corona-Pandemie hatte zumindest zeitweise einen massiven Einfluss darauf, wie soziale Integration in verschiedenen Altersgruppen gelebt werden konnte. Wie tiefgreifend und wie nachhaltig sich diese Störungen des sozialen Alltags ausgewirkt haben, ist bislang weitgehend ungeklärt. Dieses interdisziplinäre Symposium beabsichtigt mit Hilfe von vier Arbeiten, dazu einen Beitrag zu leisten. Zunächst werden Klasen und Huxhold ein Modell präsentieren, das eine theoretische Einordnung der Wirkmechanismen der pandemiebedingten Veränderungen auf die soziale Integration ermöglicht. Danach werden Wettstein, Spuling, Wünsche und Henning ihren Blick auf den Verlauf des subjektiven Alternserlebens vor und während der Pandemie richten, das eine zentrale Voraussetzung für ein sozial aktives Altern darstellt. Hense und Schad werden mit Hilfe qualitativer Längsschnittdaten eine tiefergehende Analyse der Neugestaltung sozialer Interaktionen während der Krise präsentieren. Als letzter Einzelbeitrag werden Kelle und Bünning aufzeigen, inwieweit ehrenamtliches Engagement während der Pandemie als ein Schutzfaktor wirken konnte, der dem Empfinden sozialer Ausgrenzung entgegenwirkte. Zum Abschluss wird Martina Brandt, Professorin für Sozialstruktur und Soziologie alternder Gesellschaften, die Beiträge aus sozialwissenschaftlicher Sicht diskutieren.

11:45
Wie verändern gesellschaftliche Krisen das soziale Leben? Eine theoretische Einordnung von Wirkmechanismen
S28-1 

L. Klasen, O. Huxhold; Berlin

Gesellschaftliche Krisen haben einen massiven und vielfältigen Einfluss auf unterschiedliche Lebensbereiche. In der Literatur werden bislang hauptsächlich die Folgen krisenhafter Ereignisse auf Einkommen, finanzielle Sicherung und Gesundheit thematisiert. Einflüsse auf die soziale Integration also soziale Beziehungen und soziale Teilhabe wurden, trotz ihrer Relevanz für die individuelle physische und psychische Gesundheit, wenig betrachtet. Erst die Corona-Pandemie rückte diesen Lebensbereich in die wissenschaftliche und gesellschaftliche Debatte. Dennoch gibt es bisher kein theoretisches Konstrukt, dass die Wirkungspfade gesellschaftlicher Krisen auf die gesamte Breite sozialer Integration beschreiben kann und die Rolle unterschiedliche Lebenssituationen dabei berücksichtigt.

Methodik: Aufbauend auf einer dezidierten Definition des Krisenbegriffs werden die Einflüsse von gesellschaftlichen Krisen auf die soziale Integration mit Hilfe des Differential Investment of Resources Model dargestellt und durch eine Erweiterung des Modells vervollständigt. Dynamische Komponenten im Modell ermöglichen eine Beobachtung der Entwicklung der Einflüsse auf die soziale Integration über einen langfristigen Zeitraum unter der Berücksichtigung sozialer Ungleichheiten. Die vorgeschlagenen Wirkungspfade werden am Beispiel der Corona-Pandemie verdeutlicht.

Ergebnisse: Krisen beeinflussen die soziale Integration durch a) eine Veränderung der sozialen Gelegenheitsstruktur, b) Beschränkungen der Zeit und Energie, die in soziale Beziehungen investiert werden kann, c) Chancen und Hindernisse für die individuelle Entwicklung und d) Auswirkungen auf die Wirkung sozialer Beziehungen (z.B. Veränderung des Einsamkeitserleben). Soziale Ungleichheiten können dabei die verschiedenen Einflüsse von Krise auf die soziale Integration und deren Auswirkungen für bereits benachteiligte Gruppen verstärken.

Fazit: Langfristig andauernde Krisen haben das Potential, über verschiedene Wirkmechanismen die soziale Integration von Menschen zu stören und dadurch maladaptive Gefühle und Gesundheitsrisiken hervorzurufen.

12:05
Veränderungen im subjektiven Alter und in Einstellungen zum Älterwerden vor und während der COVID-19-Pandemie
S28-2 

M. Wettstein, S. Spuling, J. Wünsche, G. Henning; Berlin

Die Covid-19-Pandemie hat den Lebensalltag und die Gestaltung sozialer Beziehungen von Personen im mittleren und höheren Erwachsenenalter erheblich verändert. Zudem haben Debatten um den Status älterer Menschen als „Risikogruppe“ und um die Rolle des Lebensalters im Fall von Triage-Situationen möglicherweise die Sicht auf das eigene Älterwerden und das subjektive Alter dieser Menschen verändert. Auf Grundlage der Daten des Deutschen Alterssurveys wurde in dieser Studie untersucht, wie sich subjektives Alter und Einstellungen zum Älterwerden über bis zu 7 Jahre hinweg bei Personen in der zweiten Lebenshälfte (n = 10856; Altersrange: 40-95 Jahre; 50 % Frauen) verändert haben. Der Beobachtungszeitraum umfasste sowohl Zeitpunkte vor der Pandemie (2014, 2017) als auch Zeitpunkte während der Pandemie (Sommer 2020; Winter 2020/2021). Erfasst wurden das subjektive Alter („Wie alt fühlen Sie sich?“) und Einstellungen zum Älterwerden (attitude toward own aging scale; Lawton, 1975).

Auf Grundlage längsschnittlicher Multilevel-Regressionsmodelle zeigte sich, dass das subjektive Alter der Studienteilnehmenden über den gesamten Beobachtungszeitraum im Durchschnitt anstieg, während Einstellungen zum Älterwerden negativer wurden. Zudem traten „COVID-19-Effekte“ dahingehend auf, dass sich Personen im Sommer 2020 im Durchschnitt jünger fühlten als im Jahr 2017, während ihre Einstellungen zum Älterwerden zu diesem Zeitpunkt besonders negativ ausfielen. Diese COVID-19-Effekte waren im Winter 2020/2021 nicht mehr beobachtbar. Bei chronologisch jüngeren Personen trat ein besonders deutlicher Rückgang im subjektiven Alter im Sommer 2020 auf. Dagegen spielten Geschlecht, Bildung und körperliche Gesundheit keine Rolle für das Ausmaß der beschriebenen COVID-19 Effekte.

Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Konsequenzen der Pandemie für das subjektive Alter und die Sicht auf das Älterwerden womöglich nur kurzzeitiger Natur waren. Jedoch ist es aufgrund potentieller verzögerter oder langfristiger Effekte der Pandemie ratsam, Verläufe des subjektiven Alters und der Einstellungen zum Älterwerden auch über das Ende der Pandemie hinaus weiterzuverfolgen.

12:25
Soziale Integration durch weak und strong ties in drei Generationen von Mittelschichtsfamilien während der Pandemie
S28-3 

A. Hense, M. Schad; Göttingen, Dortmund

Die während der Corona-Pandemie auferlegten Kontaktbeschränkungen beeinflussten die sozialen Beziehungen in Familien und am Arbeitsplatz. Befunde zur Lebenssituation mehrerer Generationen einer Familie sowie zu qualitativen Veränderungen ihrer sozialen Beziehungen während der Pandemie sind selten, obwohl Sozialkapital für die Bewältigung der Corona-Krise sowie die berufliche und soziale Integration zentral ist. Auf Grundlage der Netzwerktheorie von Granovetter werden die Veränderungen von „strong und weak ties“ von Mittelschichtsfamilien in verschiedenen Lebensbereichen sowie ihre Bedeutung für die Bewältigung der Krise analysiert. Der Vortrag stützt sich auf intergenerationale qualitative Längsschnittdaten, die im Rahmen eines DFG-Projekts zum Statuserhalt von Mittelschichtfamilien erhoben wurden, bei dem zwischen August 2018 und August 2021 narrative Familieninterviews mit drei Generationen durchgeführt wurden. Im Allgemeinen wurden die „strong ties“ zu engen Familienmitgliedern und Freunden während der Pandemie durch veränderte Interaktionspraktiken aufrechterhalten und sogar intensiviert, so dass die soziale Integration weiterhin gewährleistet werden konnte. Dies bot wechselseitige und emotionale soziale Unterstützung, die zur Bewältigung der veränderten sozialen Bedingungen und Unsicherheiten benötigt wurde. Einschränkungen gab es jedoch für die älteste Generation sowie bei der Reaktivierung von innerfamiliären Abhängigkeitsverhältnissen. Bei den „weak ties“ muss zwischen verschiedenen Bereichen und Beziehungen unterschieden werden. Die Bindungen zu entfernteren Verwandten und Freunden wurden lockerer oder gekappt, während Nachbarschaften für die soziale Integration an Bedeutung gewannen. Zentrale Arbeits- und Geschäftsbeziehungen zu Kolleg:innen und Kund:innen wurden umgestaltet und damit die berufliche und sozio-ökonomische Integration aufrechterhalten, während eher lockere Arbeitsbeziehungen wie berufliche Netzwerke reduziert oder beendet wurden. Dabei lassen sich Ungleichheitseffekte zum Nachteil von Frauen und der jüngsten Generation beobachten.

12:45
Corona-Pandemie und Wohlbefinden im Alter: Können ehrenamtliche Tätigkeiten vor Einsamkeit und sozialer Ausgrenzung schützen?
S28-4 

N. Kelle, J. Simonson, M. Bünning; Berlin

Ehrenamtliches Engagement hat sich als förderlich für die soziale Integration erwiesen und kann Einsamkeit und das Gefühl der sozialen Ausgrenzung mildern und somit das Wohlbefinden der ehrenamtlich Tätigen verbessern. Dies gilt insbesondere für ältere Erwachsene. Im Kontext der Corona-Pandemie stellt sich die Frage, ob ehrenamtliches Engagement weiterhin einen Schutzeffekt vor Einsamkeit und sozialer Ausgrenzung für ältere Menschen bietet. Während der Pandemie haben sich viele ehrenamtliche Tätigkeiten in den digitalen Raum verlagert. Die Möglichkeiten für informelle Kontakte unter den ehrenamtlich Tätigen waren begrenzt, was den sozialen Austausch erschwerte. Der Beitrag untersucht, ob der Schutzeffekt des ehrenamtlichen Engagements auch während der Covid-19-Pandemie erhalten bleibt. Zudem wird untersucht, ob die Schutzfunktion des ehrenamtlichen Engagements je nach individuellem Bildungsniveau unterschiedlich ausfällt.

Zur Beantwortung unserer Forschungsfragen greifen wir auf drei Wellen von Panel-Daten aus dem Deutschen Alterssurvey (DEAS) 2014, 2017 und 2020/21 zurück, die repräsentativ für die Bevölkerung ab 43 Jahren in Privathaushalten sind. Wir führen lineare First-Difference-Regressionen durch und untersuchen, ob sich Veränderungen in Einsamkeit und wahrgenommener sozialer Ausgrenzung für ehrenamtlich Engagierte zeigen und ob sich die Effekte in der Pademie-Zeit von den Effekten in vorpandemischen Zeiten unterscheiden. In den Analysen unterscheiden wir zwischen a) kontinuierlich Engagierten, b) Engagierten, die ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten neu aufgenommen haben oder c) aufgegeben haben und d) Personen, die durchgängig kein Ehrenamt ausgeübt haben.

Vorläufige Ergebnisse zeigten für die Zeit vor der Pandemie keinen Zusammenhang zwischen ehrenamtlichem Engagement und Wohlbefinden, deuten aber darauf hin, dass während der Pandemie die Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit ältere Erwachsene vor sozialer Ausgrenzung schützte. Dies trifft insbesondere auf Personen mit niedrigerem Bildungsniveau zu. Kontinuierlich ehrenamtlich Tätige mit niedrigerem Bildungsniveau wiesen außerdem während der Pandemie ein geringeres Maß an wahrgenommener sozialer Ausgrenzung auf.

Diskutantin: M. Brandt, Dortmund

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