Donnerstag, 21.09.2023
16:30 - 18:00
Raum Q111
S16
Diskontinuitäten und Exklusionsrisiken über den Erwerbsverlauf
Moderation: L. Naegele, Bonn
Verliefen Erwerbsverläufe in der Vergangenheit meist kontinuierlich oder entlang tradierter Rollenvorstellungen, ist die Dauer, die Personen heute im Arbeitsleben verbringen, zunehmend geprägt von Diskontinuitäten und daraus folgenden Exklusionsrisiken. Die Gründe hierfür sind vielschichtig, situativ bedingt, manchmal wenig sichtbar und häufig mit langfristigen negativen Auswirkungen verbunden. Das Symposium möchte sich verschiedenen Diskontinuitäten und Exklusionsrisiken widmen und dabei bewusst unterschiedliche Erwerbs- und Altersgruppen in den Blick nehmen.
Der erste Beitrag (Moritz Heß & Anna Wanka) widmet sich der Gruppe der pflegenden Studierenden, d.h. Studierende, die während der Studienzeit eine*n Angehörige*n pflegen. Deren oft mangelnde Vereinbarkeit von Pflege und Studium hat negative Folgen für den Studienverlauf und den Berufseinstieg, was langfristig zu schlechteren Erwerbschancen führt.
Der zweite Beitrag (Selina Staniczek & Laura Naegele) legt den Fokus auf die Frage, ob Weiterbildung, der meist eine absichernde und förderliche Funktion kontinuierlicher Erwerbsverläufe von Beschäftigten zugeschrieben wird, selbst zum Exklusionsrisiko werden kann; beispielsweise, wenn Qualifizierung mehrheitlich in den digitalen Raum verlegt wird.
Der dritte Beitrag (Wiebke Schmitz) widmet sich Erwerbsdiskontinuitäten während der Corona Pandemie. Es wird mittels eines Ländervergleichs untersucht, welchen mittelfristigen Effekt Maßnahmen während der Pandemie (z.B. Lockdown, Schließung von Kitas) auf den Erwerbsstatus aufweisen. Ein besonderer Fokus wird dabei auf Geschlechter- und Bildungsungleichheiten gelegt.
Der letzte Beitrag (Mirko Sporket & Lena Buttgereit) geht auf die Lebenssituation -und perspektiven von älteren Langzeitarbeitslosen ein und diskutiert ausgewählte Ergebnisse einer Interviewstudie entlang der Unterscheidung von Kontinuitäten/Diskontinuitäten in der Langzeitarbeitslosigkeit. Der Fokus liegt dabei auf Aspekten der individuellen Arbeitslosigkeitsbiografien, der sozialen Einbindung sowie der Alltagsgestaltung bzw. möglicher Zukunftsaussichten.
Diese Studie untersucht die Herausforderungen und die Bewältigungsstrategien pflegender Studierender in Deutschland sowie wie Hochschulen sie unterstützen können.
Die Situation dieser Studierenden wurde mit einer systematischen Literaturanalyse, acht Interviews mit pflegenden Studierenden, einer Umfrage unter Studierenden einer Hochschule in Deutschland sowie Gruppendiskussionen mit Lehrenden und Personal aus der Hochschulverwaltung untersucht.
Die Ergebnisse zeigen, dass pflegende Studierende eine Gruppe sind, die mit besonderen Herausforderungen konfrontiert ist, die sich von denen unterscheiden, mit denen pflegende Angehörige im späteren Leben, im Berufsleben oder bei der Betreuung von Kindern konfrontiert sind. Sie neigen dazu, "verstecktes Leben" zu führen und werden vom "normalen" Studentenleben ausgeschlossen. Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, dass Hochschulpersonal für das Thema zu sensibilisieren und die Regelungen im Hochschulkontext flexibel zu gestalten.
Einleitung und Fragestellung: Durch den „Demografischen Wandel“ und die „Digitalisierung“ stehen Betriebe zunehmend vor der Herausforderung, Strukturwandel und Innovation mit einer alternden Belegschaft zu meistern: Um die Arbeitsfähigkeit von (älteren) Arbeitnehmer*innen zu sichern sowie Demotivierung und Exklusion vorzubeugen, bedarf es kontinuierlicher Kompetenz- und Qualifikationsentwicklung über den ganzen Lebensverlauf. Dabei ist es aus alter(n)spädagogischer Sicht notwendig, betriebliches Kompetenzmanagement zielgruppenorientiert zu gestalten, da sich Lerngewohnheiten und -stile über den Lebensverlauf verändern. Inwiefern digitale Lernsettings dabei die Bedürfnisse Älterer berücksichtigen oder vice versa selbst zum Exklusionsrisiko werden, ist jedoch fraglich und daher Thema des vorliegenden Beitrags.
Daten und Methode: Anhand einer systematischen Literaturrecherche werden der aktuelle Stand der Forschung zu Determinanten alter(n)sgerechter Kompetenzentwicklung in digitalisierten Lernumwelten identifiziert und Leerstellen im wissenschaftlichen Diskurs aufgezeigt. Hierfür wurden anhand ausgewählter Suchbegriffe (z.B. *Digital*Berufliches Lernen*Ältere Beschäftigte*) vier Datenbanken und eine Suchmaschine (GeroLit, ERIC, PubMed, FIS Bildung und GoogleScholar) durchsucht. Durch die Suche in den Datenbanken wurden insgesamt 938 relevante Publikationen identifiziert, durch die Suchmaschine ca. 3000. Der so ermittelte Datenkorpus wird im Weiteren verdichtet, einer Volltextprüfung unterzogen und für die Fragestellung relevante Determinanten werden extrahiert.
Ergebnisse: Durch den relativ „schlanken“, von der Medizin geprägten Datenkorpus wird deutlich, dass in den Gesellschaftswissenschaften ein großer Bedarf an aktuellen Forschungsarbeiten zur Alter(n)sgerechtigkeit digitaler Lernsettings besteht. Dabei zeigen unsere vorläufigen Ergebnisse die Relevanz einer intersektionalen Perspektive, da soziodemografische Faktoren einen Einfluss darauf haben, wie alter(n)sgerechte Kompetenzentwicklung auszugestalten ist. Daneben stellen auch Anwender*innenfreundlichkeit, Zielgruppenorientierung und Nutzer*innenbereitschaft zentrale Determinanten dar, sollen digitale Lernsettings nicht zum Exklusionsrisiko werden.
Hintergrund: Eine der unmittelbaren Auswirkungen der länderspezifischen Maßnahmen während Covid-19 war der Anstieg der Arbeitslosigkeit. Insbesondere die alternde Gesellschaft ist einem zusätzlichen Risiko ausgesetzt, da diese bereits durch einen zunehmenden Arbeitskräftemangel und die steigenden Rentenkosten herausgefordert werden. Um zu verstehen, wie sich Covid-19 mittelfristig auf die alternde Erwerbsbevölkerung auswirkt, untersuche ich, wie sich die Dauer verschiedener politischer Maßnahmen in 26 europäischen Ländern zwischen 2020 und 2021 (z. B. Lockdown, Schließung von Kindertagesstätten) auf den Beschäftigungsstatus älterer Befragter auswirkt und ob vulnerable Gruppen wie z.B. Frauen mit niedrigem Bildungsniveau stärker betroffen sind.
Methode: Unter Verwendung von Daten auf Länderebene über die Dauer der Coronamaßnahmen bereitgestellt vom „European Centre for Disease Prevention and Control“ und der zweiten SHARE-Corona-Erhebung, die auch das Datum der Befragung der Befragten enthält – untersuche ich, wie die individuelle Belastung verschiedener politischer Maßnahmen (Anzahl der Tage im Zeitraum von 2020 bis 2021) mit dem Berufsstatus im Jahr 2021 zusammenhängt und wie sich dieser Zusammenhang nach Geschlecht und Bildungsniveau unterscheidet.
Ergebnisse: Insgesamt haben frühere politische Maßnahmen während der Pandemie nur schwache mittelfristige Auswirkungen auf den Beschäftigungsstatus im Jahr 2021. Allerdings sind die Befragten in Ländern mit längeren Lockdowns seltener erwerbstätig zum Zeitpunkt der Befragung. Die Schließung öffentlicher Verkehrsmittel ist mit einem früheren Renteneintritt verbunden. Vor allem niedrig gebildetet Frauen sind von der Schließung von Kitas während der Pandemie betroffen und eher arbeitslos oder in unbezahlter Hausarbeit. Politische Maßnahmen wie die Anpassung des Arbeitsplatzes (z.B. Schutzscheibe) haben hingegen fast keine Auswirkung auf die Beschäftigung.
Diskussion: Frühere Maßnahmen der Länder während der Covid-19-Pandemie wirken sich auch später noch auf die Beschäftigung aus. Die politischen Entscheidungsträger müssen noch immer die Folgen der Pandemie kompensieren und verstehen, dass die politischen Maßnahmen die alternde Gesellschaft unterschiedlich beeinflusst haben. Besonders vulnerable Gruppen wie Frauen mit niedrigem Bildungsniveau tragen immer noch die Folgen der Schließung von Kindertagesstätten während der Pandemie.
Der Beitrag basiert auf einer Interviewstudie mit 20 langzeitarbeitslosen älteren Menschen aus Münster, die insbesondere die Biografie, die aktuelle Lebenssituation sowie die Lebensperspektiven der Zielgruppe in den Blick nimmt. Anlass für die Studie, die in Kooperation mit dem Sozialamt Münster sowie mit dem Jobcenter Münster durchgeführt wurde, war die Beobachtung, dass die Arbeitslosigkeit und vor allem die Langzeitarbeitslosigkeit Älterer in Münster in den letzten Jahren einen starken Aufwuchs erfahren hat, obschon auf der anderen Seite die Beschäftigung – und hier auch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung – Älterer im gleichen Zeitraum ebenfalls zugelegt hat. Hier zeigt sich, dass es eine Gruppe am Arbeitsmarkt gibt, die dauerhaft und letztlich bis zum Austritt aus dem Erwerbsleben/er Arbeitslosigkeit von Arbeit ausgeschlossen bleibt.
Bekannt ist, dass Arbeitslosigkeit und insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit durch vielfältige und mehrdimensionale Problemlagen gekennzeichnet ist, die in ihrer krisenhaft-biografischen Aufschichtung insbesondere im höheren Erwerbs- bzw. Arbeitslosigkeitsalter in schwierige und als belastend erlebte Lebenssituationen führen. Physische und psychische Gesundheit, soziale Teilhabe und Anerkennung, Alltagsgestaltung, materielle Ressourcen – all das sind Dimensionen, die fragil und von den interviewten Personen als problematisch und belastend erlebt werden; letztlich, so zeigt auch unsere Untersuchung, führt dies in vielen Fällen zu einer Überdehnung der Bewältigungskompetenzen und -ressourcen der Zielgruppe.
Das Leben und Erleben der langzeitarbeitslosen älteren Menschen ist dabei sowohl von Kontinuitäten (z.B. der Status Langzeitarbeitslose*r) als auch Diskontinuitäten (u.a. gesundheitliche, private oder finanzielle Krisen) geprägt, die im Beitrag, auch in ihren Verschränkungen, in den Blick genommen werden. Im Vordergrund stehen dabei das Erleben und die Bewertung von Kontinuität und Diskontinuität, wie sie sich in den Erzählungen der interviewten Personen darstellen.