Donnerstag, 21.09.2023
14:30 - 16:00
Raum Q114
S02
(Dis)Kontinuitäten im Alter durch Bildung und Lernen gestalten
Moderation: R. Schramek, Hagen; V. Gallistl, Wien/A
Das Symposium beschäftigt sich mit der Frage, wie Lernen und entsprechende Bildungsangebote zur Aufrechterhaltung von Kontinuität im Alter beitragen können. Damit sind unterschiedliche Ebenen des Bildungsgeschehens adressiert und werden in den Beiträgen aufgegriffen. So stellen sich Fragen nach der Kontinuität von Lernmotivation im Alter v.a. beim Techniklernen (Renate Schramek) ebenso wie die nach der Kontinuität von Lernformen im Kontinuum von informellem und non-formalem Lernen, exemplarisch bezogen auf digitale Kompetenzen (Vera Gallistl). Damit ist drittens auch die Ebene der professionellen Begleitung durch Personal und Institutionen angesprochen, die zumindest durch die Pandemie radikale Brüche erfahren und zugleich einen hohen Beitrag in der Aufrechterhaltung der Kontinuität von Lernmöglichkeiten geleistet hat – unter anderem durch den Einsatz und die (kritische) Auseinandersetzung mit digitalen Möglichkeiten (Claudia Kulmus). Die Beiträge werden eingeführt durch einen theoretischen Rahmen, der quer zu diesen Ebenen eine Lebenslaufperspektive einbringt und ganz grundsätzlich das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft thematisiert (Cornelia Kricheldorff). Die Beiträge zeigen, wie sich Bildungsfragen im Alter zwischen Diskontinuitäten oder gar Disruptionen und Brüchen einerseits und dem Ringen um Kontinuität bei Lernenden und Professionellen andererseits bewegen.
Die aktuellen empirischen Forschungsergebnisse und theoretischen Bezüge der Beiträge werden abschließend kritisch mit relevanten Fachdiskursen zum Tagungsthema in Bezug gesetzt und diskutiert. Die verschiedenen Perspektiven auf Kontinuitäten und / oder Diskontinuitäten werden z.B. mit Bezug auf den Lebensverlauf, bezogen auf Bildung und Lernen im Alter etc. zusammenfassend und diskursiv betrachtet.
Hintergrund: Technologische Entwicklungen u. Robotik erfordern spezielle, an die Funktionalitäten angepasste Kompetenzen, um Unterstützung u. Entlastung durch Techniknutzung zu erreichen. Im Forschungsprojekt RUBYDemenz (BMBF) wurde ein sensorbasiertes robotisches System entwickelt, zum Einsatz in der Häuslichkeit von Menschen mit Demenz (MmD) u. ihren pflegenden Angehörigen. Die Akzeptanz dieser Technologie bei den Zielgruppen wurde grundsätzlich bestätigt (Kuhlmann/ Reuter 2019). Aktuell werden die individuelle Nutzung u. Wirkung individualisierbarer Funktionalitäten des Systems in der Häuslichkeit von MmD untersucht, fokussiert wird hier auf die Technikaneignung und das Lernen der Anleitenden und Nutzenden.
Fragestellung und Methodik: Leitend ist die Frage, wie Anleitende Techniklernen u. -nutzung bei der Zielgruppe gelingend anregen können. Dafür wurde ausgehend von empirischen Daten ein Lernmodell zur Anregung von Techniklernen für die Nutzung von Robotik in der Häuslichkeit entwickelt. Daten zu den Technikkompetenzanforderungen, Aufgaben für die Technikaneignung (Fragebogen, Fokusgruppen) und zum Selbstwirksamkeitserleben (Skalen, Schwarzer 1999) wurden erhoben. Die Ergebnisse wurden in Forschungswerkstätten mit den Anleitenden (N=27) diskutiert und verdichtet, um Lernen bezogen auf die Handlungskompetenz planen zu können.
Ergebnisse und Diskussion: Im Zuge der Lernmodellentwicklung wurde der Ansatz des Motivationsorientierten Lernens benannt (Bubolz-Lutz/ Schramek 2022). Für die Anregung von Techniklernen bei MmD und ihren Angehörigen wurden als Planungsraster „individuelle Lernpfade“ eingesetzt. Daraus entstand ein vorläufiges Lernmodell, das in der Praxis erprobt, evaluiert und weiterentwickelt wurde. Als Ergebnis werden alle erhobenen, auf Lernen bezogenen Einflussfaktoren dargestellt, die zu einem integrierten Lernmodell zusammengeführt wurden. Mittels Lernmodell können professionell Tätige (Anwendungspartner) und Begleitende (Robotbegleitende) bei MmD Techniklernen anregen, um den Einsatz robotischer Systeme in der Häuslichkeit zu fördern. Offene Fragen werden diskutiert z.B. zu individuell unterschiedlichen Relevanzen einzelner Faktoren.
Hintergrund: Mit der fortschreitenden Digitalisierung steigt auch der Bedarf nach Möglichkeiten, digitale Kompetenzen im Alter zu erlernen. In der bisherigen Forschung wurden häufig einzelne Lernformen in ihrer Wirkung auf die digitalen Kompetenzen im Alter untersucht. Dieser Artikel leistet einen innovativen Beitrag, indem das Konzept des Lernkontinuums (Schneeberger, Schlögl, Neubauer, 2000) verwendet wird, um (Dis-)Kontinuitäten des digitalen Lernens im Alter zu untersuchen: Inwiefern finden sich im digitalen Lernen im Alter Lern(dis)kontinuitäten? Was ermöglicht oder behindert Kontinuität zwischen unterschiedlichen Formen des digitalen Lernens im Alter?
Fragestellung und Methode: Der Beitrag präsentiert Ergebnisse eines Forschungsprojekts, das die digitalen Kompetenzen älterer Menschen in Österreich untersucht hat. Anhand von Daten aus einer quantitativen, repräsentativen Umfrage unter 814 Personen (65-95 Jahre) beleuchtet der Beitrag drei Formen des digitalen Lernens im Alter (sozial, non-formal, selbstständig) und beleuchtet die (Dis-)Kontinuitäten zwischen diesen Lernformen.
Ergebnisse und Diskussion: Die Ergebnisse zeigen, dass geschlechts- und bildungsspezifische Ungleichheiten die Teilnahme an digitalem Lernen im Alter beeinflussen: Weibliche Befragte mit niedrigerem formalen Bildungsniveau, geringerem Einkommen und höherem Alter nutzen eher ihr soziales Netzwerk für digitales Lernen und nehmen seltener an formalen Lernformen teil. Gleichzeitig zeigt sich hier eine Einengung des Lernkontinuums auf nur eine Form des Lernens, während bei privilegierteren Gruppen eine Vielzahl an Lernmöglichkeiten verfolgt wird. Der Beitrag zeigt auf, dass sich an Lerndiskontinuitäten im Alter soziale Ungleichheiten im Zugang zur Bildung im Alter reproduzieren und stellt die Frage danach, welcher Handlungsauftrag daraus für die Geragogik entsteht.
Hintergrund: Die letzten Jahre haben v.a. durch die Pandemie zu erheblichen Brüchen und Diskontinuitäten in der Bereitstellung von Bildungsangeboten für Ältere geführt. Solche Disruptionen können Modernisierungsprozesse etwa im Bildungssystem anstoßen, diese erfordern aber zugleich förderliche Bedingungen für einen solchen Wandel.
Fragestellung und Methodik: In dem Beitrag wird die Fragestellung verfolgt, welche Tendenzen sich aus den disruptiven (Pandemie-)Erfahrungen der letzten Jahre für die Bildung Älterer anbieterseitig ergeben, welche Zukunftsstrategien Anbieter längerfristig verfolgen und wie hierüber Kontinuität in den Lernmöglichkeiten für Ältere erhalten werden soll. Zugleich wird nach den Bedingungen für solche Zukunftsstrategien im Spannungsfeld von Beharrung und strategischer Neuausrichtung gefragt. Es wurden 14 qualitative Expert:inneninterviews (Meuser & Nagel, 2010) mit Programmplanungs- und Leitungspersonal sowie mit Bezirkskoordinator:innen der offenen Altenhilfe in unterschiedlichen Anbietertypen der Bildung Älterer zu verschiedenen Zeitpunkten im (Nach-)Pandemiegeschehen geführt.
Ergebnisse und Diskussion: Die Ergebnisse zeigen Deutungsmuster und Handlungsstrategien des professionellen Planungspersonals (Kulmus, 2022). Dabei wird eine große Varianz sichtbar, die sich v.a. auf unterschiedliche organisationale Bedingungen und auf Professionalisierungsdefizite zurückführen lässt und zur Folge hat, dass trotz disruptiver Veränderungen eine erhebliche Kontinuität besteht. Zu diskutieren ist dann, ob damit aber eine allenfalls selektive Transformation (Dolata, 2011) dieses Bildungsbereichs möglich wird.
Literatur:
Dolata, U. (2011). Soziotechnischer Wandel als graduelle Transformation. Berliner Journal für Soziologie 21(2), 265-294. DOI 10.1007/s11609-011-0153-0
Kulmus, C. (2022). Seniorenbildung in der Pandemie: Programmplanung zwischen Digitalisierung und Begegnung, zwischen Lähmung und Innovation. ZfW 45, 369–389.DOI 10.1007/s40955-022-00215-9
Meuser, M., Nagel, U. (2010). Experteninterviews – wissenssoziologische Voraussetzungen und methodische Durchführung. In B. Friebertshäuser, A. Langer A. Prengel (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft (S. 457–472). Juventa.
Diskontinuitäten im Prozess des Alterns haben ihren Ursprung oft in persönlichen Umbruchsituationen, die in der Gerontologie als Kritische Lebensereignisse schon lange den fachlichen Diskurs bestimmen. Brüche in der Biografie und Disruptionen entstehen aber auch durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse und Megatrends, die das Leben im Alter ganz maßgeblich mitbestimmen. Aus geragogischer Sicht geht es deshalb darum, das immer wieder notwendige Ringen um eine neue Lebensbalance des alternden Menschen zu unterstützen und zu begleiten. Geragogisch orientierte und fundierte Lern- und Bildungsprozesse bilden dafür den ermöglichenden Rahmen und sind darauf gerichtet, dem Altern im Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft mit spezifischen Ansätzen und Methoden zu begegnen. Damit hat die Geragogik auch Schnittstellen mit der Interventionsgerontologie und der Sozialen Arbeit in Kontexten des Alter(n)s und es kommt ihr eine wichtige Brückenfunktion im Sinne eines interdisziplinären Blicks auf prägende Statuspassagen und Übergänge im Alter zu. Gleichzeitig wird damit auch die wissenschaftliche Verortung der Fachdisziplin Geragogik deutlich markiert.
Literatur:
Kricheldorff, Cornelia (2022): Gut vernetzt oder abgehängt? Gelingendes Altern in der digitalen Welt. In der Reihe Lange Leben leben/ Altern gestalten: Wissen - Positionen – Impulse. Stuttgart: Kohlhammer
Kricheldorff, Cornelia (2020): Soziale Arbeit im Kontext von Bildung und Lernen im Alter. In: Aner, Kirsten & Karl, Ute (Hrsg.): 133- 146
Kricheldorff, Cornelia (2018): Altern – Lernen – Bildung aus der Perspektive der Sozialen Gerontologie. In: Schramek, Renate/ Kricheldorff, Cornelia/ Schmidt-Hertha, Bernhard/ Steinfort-Diedenhofen, Julia (2018): 45-56.