Freitag, 22.09.2023
09:30 - 11:00
Raum Q110
E08
Demenz, stationäre Pflege
Moderation: F. Oswald, Frankfurt a. M.
Wie kann ein kollaboratives intersektorales Care Management für Menschen mit Demenz und ihre pflegenden Angehörigen in einer Modellregion implementiert werden?
Hintergrund: Dementia Care Management (DCM) ist ein evaluiertes Konzept zur Unterstützung von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen. Eine Einführung in die Routineversorgung ist angestrebt und wird unter anderem durch die Nationale Demenz Strategie gefordert und gefördert. Auf dem Weg zur Implementierung des DCM in die gewählte Modellregion Siegen-Wittgenstein wurde das DCM im ersten Schritt im Rahmen einer Pilotstudie der Universität Siegen gemeinsam mit erfahrenen Versorgungspartner:innen aus der Region (Caritasverband Siegen-Wittgenstein e.V., Alzheimer Gesellschaft Siegen-Wittgenstein e.V., Gesundheitsregion Siegerland eG & Klinikum Siegen) mittels partizipativer Methoden an regionale Versorgungsstrukturen und Ressourcen angepasst, erprobt und hinsichtlich Machbarkeit, Akzeptanz und Angemessenheit evaluiert.
Methode: Im Rahmen der Routine-DeCM Studie wird das angepasste DCM nun in der Modellregion von den Versorgungspartner:innen eingesetzt. In die Studie aufgenommen werden Personen mit Demenz sowohl einzeln, als auch gemeinsam mit einer informell pflegenden Personen als Dyade, um das Versorgungsgeschehen möglichst realistisch betrachten und abbilden zu können. In der Implementierungsstudie werden der Einschluss (bis 08/2023) und die Unterstützung von 90 Personen oder Versorgungsdyaden über 6 Monate angestrebt. Das DCM besteht neben einer ausführlichen Befragung zur individuellen Versorgungssituation aus einer computergestützten, Algorithmus-basierten Intervention, durch welche die Teilnehmenden optimal bei der Eingliederung in die regional vorhandenen Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen begleitet und unterstützt werden. Die Implementierung wird sowohl durch ein multidisziplinäres Team als auch eine Prozessevaluation wissenschaftlich und inhaltlich begleitet.
Ergebnisse: Im Rahmen des Vortrags sollen erste Ergebnisse sowohl aus den Anpassungsprozessen, als auch aus der Implementierungsphase präsentiert werden.
Schlussfolgerung: Der iterative, partizipative Anpassungsprozess des evaluierten Konzeptes des Dementia Care Managements konnte erfolgreich abgeschlossen werden und hat eine erfolgversprechende Grundlage für die Implementierung des Konzeptes in die Region geliefert. Die weiteren Studienergebnisse werden die bedeutsame Grundlage für eine nationale Implementierung schaffen.
Personen mit Demenz leiden besonders darunter, dass ihnen ihre Erkrankung nicht fortwährend bewusst ist und sie somit Symptome erschwert einordnen können (Miesen 1993). Ein Verständnis für die Symptome der Demenz sowie deren Ursachen ist nur eine wichtige Voraussetzung bei der Arbeit mit Betroffenen. Zum anderen sollten vordefinierte „Normalitätsannahmen“ (Miesen 1993) und eine nicht-wertende Grundhaltung Menschen auszeichnen, welche Personen mit Demenz begegnen wollen (Brandenburg, Schnabel & Boggatz 2022).
Grundlegend für Pflege- und Hilfssysteme für Personen mit Demenz – durch Professionelle, aber insbesondere auch Laien und Angehörige – ist das Grundverständnis von Gesundheit und Krankheit. Viele dominierende aktuelle Ansätze fokussieren ausschließlich im Sinne des medizinisch-naturwissenschaftlichen Paradigmas die Krankheit, den Verfall, die Belastung und den Verlust. Diese pathogenetische Sicht auf Demenz führt zu eindimensionalen, die Defizite fokussierenden Maßnahmen und Versorgungsversuche (Wißmann et al. 2008, S. 33; Fuchs 2010). Daraus folgen Redewendungen, wie „herausforderndes Verhalten“, „schwierige Patienten“ und ähnlich unspezifische Konnotationen. Herausforderndes Verhalten sollte als herausfordernd wahrgenommenes Verhalten umgedeutet werden. Aus einem schwierigen Patienten wird eine unverstandene Person, die Hilfe benötigt, um wieder zu einer (neuen) Selbstbestimmung zu finden (Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege 2019, S. 63).
Ich sehe diese letzten, positiveren Deutungen aus einer salutogenetischen Sicht auf Demenz. Nach der Theorie der Salutogenese werden Gesundheit und Krankheit nicht als gegebene Zustände und sich ausschließende Gegensätze gesehen. Anders wird demnach angenommen, dass wir uns auf einem Kontinuum zwischen Gesundheit und Krankheit befinden, auf dem wir uns im Laufe unseres Lebens bewegen (Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung 2001, S. 24). Gelingt es uns Sinnhaftigkeit, Verstehbarkeit und Bewältigbarkeit – und damit entsprechend einem starken oder weniger starken Kohärenzgefühl – auf uns zukommende Herausforderungen anzugehen, rücken wir näher in Richtung Gesundheit. Die Stärkung des Kohärenzgefühl ist in dem Sinne oberstes Ziel (Antonovsky, 1987). Diesem Ansatz folgende Maßnahmen fokussieren die Person und die Stärkung der einzelnen Komponenten des Kohärenzgefühls, allen voran die der Sinnhaftigkeit und damit einer verstärkten Kontinuität im Erleben.
Das eigene Zuhause stellt für Menschen im Alterungsprozess häufig einen objektiv zentralen Lebenskontext dar, der auch subjektiv als bedeutsam erlebt wird. Treten bei einer dementiellen Entwicklung kognitive und alltagsrelevante Einschränkungen auf, nimmt die Bedeutung des eigenen Zuhauses als Ort der Gewohnheit und Autonomie in aller Regel sogar noch zu.
Bislang wurde die subjektive Wohnbedeutung bei Menschen mit Demenz aber nur unzureichend untersucht. Um den Einfluss von Wohnbedeutung für diese Zielgruppe (z.B. auf Handlungsentscheidungen) zu untersuchen, müssen psychometrisch geprüfte Instrumente vorliegen. Diese Studie beschäftigt sich daher mit der Anpassung eines bestehenden Fragebogens zur Erfassung der Wohnbedeutung für Menschen mit Demenz. Zunächst werden erste zielgruppenspezifische sprachliche und inhaltliche Anpassungen und deren empirische Erprobung im Rahmen einer Pilotstudie mit Gedächtnisambulanz-Patient:innen (N = 30) dargestellt. Des Weiteren werden Überarbeitungen des Fragebogens und Befunde einer nachfolgenden Onlinestudie (N = 574) mit kognitiv unbeeinträchtigten älteren Personen zur ersten Untersuchung der faktoriellen Struktur vorgestellt. Das Ergebnis dieser Studie bildet eine auf 21 Items gekürzte Version des Fragebogens, der mit psychometrisch zufriedenstellenden Kennwerten Facetten der Wohnbedeutung bei Demenz auf fünf inhaltlichen Faktoren abbildet (Geborgenheit, Alltäglichkeit, Geselligkeit, Autonomie, Überforderung). Zuletzt werden erste Ergebnisse einer laufenden Validierungsstudie des angepassten Fragebogens diskutiert.
Fragestellung: Pflegebedürftigkeit verändert das Leben und den Alltag. Insbesondere der Umzug in eine stationäre Pflegeeinrichtung kann als Diskontinuität erlebt werden, der die Lebenssituation umfassend verändert. Er kann sich auf die psychische Gesundheit auswirken bzw. die Symptome bestehender Erkrankungen (z. B. dementieller Erkrankungen) verstärken. Eine Behandlung dieser Symptome geht häufig mit der Verordnung von Psychopharmaka einher, deren Gebrauch in der stationären Pflege weit verbreitet ist. Die Einnahme von Psychopharmaka ist jedoch mit gesundheitlichen Risiken verbunden, kann die Lebensqualität beeinträchtigen und wirft ethische Fragen auf. Gefördert durch den GKV-SV wurde in der Studie „Psychopharmaka in der stationären und ambulanten Pflege“ (PhasaP) untersucht, welche Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten aus Sicht der Pflege in diesem Feld bestehen. In diesem Beitrag soll die Frage nach kritischen Situationen in der stationären Pflege, in denen Psychopharmaka verordnet oder abgesetzt werden können, im Mittelpunkt stehen.
Methode: Berichtet werden Ergebnisse aus fünf Fallstudien in Pflegeeinrichtungen. In den Fallstudien wurden u. a. Betreuungs-, Pflege- und Leitungskräfte problemzentriert interviewt sowie teilnehmende Beobachtungen durchgeführt. Die Auswertung erfolgte übergreifend inhaltsanalytisch nach Mayring. Handlungsorientierungen im Umgang mit Psychopharmaka wurden in Anlehnung an die Vorgehensweise der dokumentarischen Methode nach Bohnsack analysiert.
Ergebnisse: Identifiziert wurden vier kritische Situationen, in denen Psychopharmaka verordnet oder abgesetzt werden können: 1. Einzug in die stationäre Einrichtung, 2. Veränderungen des Befindens, Verhaltens oder der Fähigkeiten pflegebedürftiger Menschen, 3. Krankenhausaufenthalte, 4. Initiative von Angehörigen.
Diese Situationen können dazu führen, dass Psychopharmaka verordnet werden, können aber ebenso als Möglichkeit wahrgenommen werden, die Medikation kritisch zu überprüfen und Psychopharmaka zu reduzieren oder abzusetzen. Abschließend wurde eine Handreichung zum Umgang mit Psychopharmaka entwickelt.
Zusammenfassung: Für Bewohner*innen stationärer Pflegeeinrichtungen lassen sich kritische Situationen beschreiben, die mit Chancen oder Risiken für einen angemessenen Umgang mit Psychopharmaka einhergehen. Diesen Situationen sollte in der pflegerischen Versorgung Aufmerksamkeit gewidmet werden und Alternativen im Umgang mit psychischen Auffälligkeiten gefunden werden.